Moskau
Reise durch ein kaputtes Land
Eine Fahrt durch die Dörfer rund um Moskau zeigt wie heruntergekommen die angebliche Weltmacht ist.
Die Lenin-Straße ist voller Schlaglöcher, tiefe Spurrillen ziehen sich über die ganze Hauptstraße der kleinen Stadt. Etwa jedes vierte Haus steht zum Verkauf, ist barrikadiert oder nur mehr eine Brandruine. Die Markthalle im Stadtzentrum steht zur Hälfte leer, der Spazierweg rund um das Gebäude ist teilweise zugewachsen, die Betonplatten zerbrochen, windschief. Außerhalb des Ortszentrums schaut es noch schlimmer aus: Wege die auf dem Stadtplan als normale Straßen eingezeichnet sind sind bestenfalls Schotterwege, stellenweise nicht einmal das, tief zerwühlte Feldwege die erklären warum Herbst und Frühling in Russland auch als „Schlammperiode“ bezeichnet werden.
Der "Goldenen Ring" glänzt nicht mehr
Die Rede ist hier nicht von irgendeinem weit abgelegenen und von der Hauptstadt vergessenen Städtchen im hohen Norden oder in Sibirien. Die Rede ist von Susdal, einer der Hauptstädte des sogenannten „Goldenen Ringes“, einer der wenigen russischen Tourismusdestinationen die international bekannt sind. In dem kleinen Städtchen, gegründet im 11. Jahrhundert, gibt es dutzende Klöster und Kirchen oder wie es der Reiseführer „Lonely Planet“ ausdrückt, man bekommt den Eindruck es gebe mehr Kirchen als Einwohner. Die meisten dieser Kirchen sind verfallen, nur die wichtigsten sind renoviert damit die Touristen etwas anschauen können. Die meisten Gäste kommen aus der Hauptstadt, sie wohnen in einem der neuen Ferienkomplexe, geschlossenen Anlagen im neo-russischen Kitsch-Hollywood-Stil, mit vergoldeten Türmchen, falschem Stuck und Holzbrettern die den Häusern den Stil von Blockhäusern geben sollen, natürlich mit angeschlossenem Saunahäuschen. Zu mieten ist eine solche Anlage für 2.500 Euro pro Wochenende. Und während in den geschlossenen Ferienanlagen die Jaguars, Range-Rovers und Porsches mit Moskauer Kennzeichen stehen fahren draußen über die holprigen Straßen immer noch die alten Ladas oder Importwagen aus Westeuropa oder Japan, überwiegend Modelle die seit den 1990ern nicht mehr hergestellt werden.
Verfallen, Eingestürzt, Abgebrannt
In Berührung mit dem echten Russland kommen die reichen Moskauer, die hier ein angenehmes Wochenende verbringen nur auf dem Weg: Für die knapp 200 Kilometer braucht man je nach Verkehrsaufkommen vier bis fünf Stunden. Die Fahrt über den Gorkovskoe Schosse hat teilweise fast apokalyptischen Charakter: Sobald man den Staus rund um Moskau hinter sich gelassen hat folgen heruntergekommene Siedlungen, die Straße ist gesäumt von überdimensionalen Industrieruinen und hunderten kleinen „Isba“, kleinen Holzhäuschen in meist erbarmungswürdigem Zustand, abgebrannt, halb eingefallene Dächer, verbarrikadiert mit großen Schildern „Zu verkaufen“. Vor den Häuschen, am Rand der schlammigen Straße, sitzen oft alte Mütterchen und bieten Zwiebel oder eingelegtes Gemüse zum Verkauf an.
Die letzten Einwohner warten nur mehr auf den Tod
Egal in welche Richtung man Moskau verlässt, überall bietet sich das gleiche Bild – mit Ausnahme des „Rublevskoe Schosse“, der zur Residenz des Präsidenten führt und wo die Reichen wohnen, meist in „Gated Communities“ mit meterhohen blickdichten Zäunen . Sobald man die Hauptstadt hinter sich gelassen hat beginnt Armut und Verfall, der Handyempfang bricht ab, die Schlaglöcher in den Straßen werden tiefer und tiefer. In kleinen Dörfern am Rand des Verwaltungsbezirks „Moskauer Gebiet“, keine eineinhalb Autostunden von der Hauptstadt entfernt ist die einzige öffentliche Einrichtung eine Telefonzelle im Ortszentrum, und auch die wird kaum in Anspruch genommen, denn hier wohnen nur mehr die Alten. Arbeitsplätze gibt es nicht, wer arbeiten will muss nach Moskau pendeln oder überhaupt umziehen. Eine hervorragende Schilderung dieser sterbenden russischen Provinz hat der Autor Sachar Prilepin in seinem Buch „Sankya“ geliefert, das im September in deutscher Übersetzung erschienen ist. Er beschreibt darin die Fahrt in das Heimatdorf einer Romanfigur, in ein Dorf das nur im Sommer erreichbar ist weil es keine feste Straße gibt, in dem der letzte Mann gerade gestorben ist, in dem es keine Infrastruktur mehr gibt und in dem die letzten alten Mütterchen in ihren verfallenen Häuschen auf den Tod warten.
Das Geld geht erst nach Moskau, dann ins Ausland
Laut einer aktuellen Untersuchung gibt es nur in zwei Regionen Russlands eine positive wirtschaftliche Entwicklung: Im westsibirischen Tjumen, wo der Großteil der Erdgas- und Erdölvorräte des Landes liegen. Und in Moskau, wo das Ölgeld ausgegeben wird. Der Rest des Landes verfällt und schrumpft, Bevölkerungswachstum gibt es nur in den überwiegend islamischen Regionen des Nordkaukasus. Moskau unterscheidet sich kaum von einer Westeuropäischen Stadt, höchstens dadurch dass fast alles teurer ist als im Westen. Kein Wunder, der Transport des Joghurts von Danone, der finnischen Milch oder von Wurst und Käse aus Österreich und Frankreich müssen ja auch bezahlt werden. Eine normale Wohnung in einem Plattenbau am Stadtrand kostet mehr als eine gleich große Altbauwohnung im 18. oder 19. Bezirk in Wien. Gekauft werden sie oft von Staastbediensteten, die mit ihren offiziellen Gehältern mehrere Jahrzehnte für eine solche Wohnung sparen müssten. Diskutiert wird in der Moskauer Mittelschicht vor allem darüber, wie man sein Geld am besten anlegt: Am liebsten im Ausland. Der Netto-Kapitalabfluss aus Russland dürfte heuer wie im letzten Jahr bei mehr als 80 Milliarden US-Dollar liegen – jedes Jahr verschieben die Russen also eine Summe ins Ausland, die fast eineinhalb Mal so groß ist wie die gesamte österreichische Wirtschaftsleistung. Das Geld aus den Regionen fließt erst nach Moskau und von dort weiter nach Zypern, auf die Cayman-Islands oder in eine Eigentumswohnung in Hitzing oder Kitzbühel.
Und den ausländischen Reisepasse bitte gleich mit dazu!
In Russland investieren? Viel zu unsicher. Niemand kann wissen, ob der Staat, korrupte Behörden oder ein mißgünstiger Nachbar mit guten Verbindungen zur „Macht“ sich das Haus, die Firma oder das Unternehmen nicht „übernehmen“ wollen. Ein Gang zu Gericht wäre in diesem Fall sinnlos, es sei denn man ist bereit und in der Lage dem Richter mehr zu bezahlen als die Gegenseite. Für ausländische Investoren gibt es inzwischen zwar Erleichterungen und Garantien, russische Unternehmen sind der Obrigkeit hingegen weiter hilflose ausgeliefert. „Pora valit“ ist daher weiterhin eines der Schlagwörter der Moskauer Mittelschicht, „Zeit abzuhauen“. Wenn man mit dem Kauf einer Ferienwohnung in Bulgarien den begehrten EU-Pass mitbekommt ist das sehr willkommen. Und es ist kein Zufall dass es bei allen Skandalen in Österreich, die sich um die Vergabe von Reisepässen drehen, um Russen geht: „Part oft he Game“, „Minardi-Koloini-Affäre“ etc. Für die Entwicklung der russischen Regionen bleibt da natürlich kein Geld übrig. Russland verfällt. Eine Großmacht sieht wirklich anders aus.