aus dem Sinn
Nagls Bollwerk oder: Der Versuch einer schwarz-grünen Koalition
Am 25. November wählt Graz den neuen Gemeinderat, die Bezirksvertreter und damit auch den Bürgermeister. Einen Tag vor der Wahl wirft paroli einen Blick zurück auf die vergangenen vier Jahre der politischen Entwicklung in der steirischen Landeshaupstadt.
2008 Die letzten Grazer Gemeinderatswahlen finden statt
2009 Susanne Winter wird wegen Verhetzung verurteilt
2012 Nagls erste Bürgerbefragung
November 2012 Wahlen wurden hierher vorverlegt
Die letzten Grazer Gemeinderatswahlen fanden am 20. Jänner 2008 statt. Wenig überraschend wurde Bürgermeister Siegfried Nagl und die ÖVP damals mit einer überwiegenden Mehrheit von 38,37 Prozent wiedergewählt. Dahinter lagen die SPÖ mit knapp 20 Prozent, die Grünen mit knapp über 15 Prozent und KPÖ und FPÖ mit jeweils etwa 11 Prozent. Das BZÖ kam auf 4,31 Prozent und die restlichen Wählerstimmen teilen sich auf die Kleinparteien auf. Soviel zu den hard facts.
Für die SPÖ und KPÖ bedeuteten die Wahlen starke Verluste, während die Grünen einen respektablen Gewinn verzeichnen konnten. Außerdem schaffte es im Zuge der Wahl Susanne Winter, Spitzenkandidatin der FPÖ zu zweifelhafter Aufmerksamkeit über die Bundesgrenzen hinaus. Sie meinte beim FPÖ-Neujahrestreffen, der Prophet Mohammed hätte den Koran in „epilleptischen Anfällen“ verfasst und wäre „im heutigen System […] ein Kinderschänder“. Schließlich trat sie noch im selben Jahr als Klubchefin zurück und wurde 2009 wegen Verhetzung verurteilt. Der SPÖ-Chef Walter Ferk trat wegen des schlechten Ergebnisses noch am Wahltag zurück und wurde durch Wolfgang Riedler ersetzt. Das sollte bei weitem nicht der letzte Wechsel an der Spitze der Grazer SP gewesen sein, aber dazu später.
Nagl und Rücker raufen sich zusammen
Nachdem die Ergebnisse feststanden, begann Nagl parallel Verhandlungen mit den Grünen und den Sozialdemokraten zu führen. Im März einigte er sich schließlich mit den Grünen auf eine Koalition, deren Chefin Lisa Rücker wurde Vizebürgermeisterin. Schon damals konnte man als Beobachter Konfliktpotential zwischen den beiden Parteien sehen. Die Einführung eines allgemeinen Bettelverbots wurde bisher von der ÖVP befürwortet, bei der Koalitionsgründung steckte sie dabei aber zurück. Doch auch frühere Aussagen Nagls schienen nicht ganz mit der grünen Politik vereinbar. 2003 sagte Nagl etwa, er wolle „die Familie und nicht die Homosexualität fördern“ und sprach im selben Jahr über Graz als „das letzte Bollwerk eines westlichen Europas gegenüber den türkischen Übergriffe“ als es um einen EU-Beitritt der Türkei ging. Die Koalitionspartner präsentierten sich aber einig und veröffentlichten ihren schwarz-grünen Koalitionsvertrag mit gemeinsamen Zielen. Bald gab es aber sehr wohl Brüche. Erst kleinere, dann größere.
„Verbotspolitik“: Vom Handygebot zum Bettelverbot
Mitte 2008 ist es noch ein relativ lasches von Nagl verhängtes „Gebot“, in öffentlichen Verkehrsmitteln nicht zu telefonieren, das zum Koalitionsthema wird, dann aber rasch im Sand verläuft. Im darauf folgenden Jahr sollte aber die oft bekritelte „Verbotspolitik“ des Bürgermeisters zu heftigeren Konflikten führen. Im März will Nagl das Alkoholverbot, das damals schon am Grazer Hauptplatz und in der Mondscheingasse besteht, auf bestimmte Teile des Grazer Uni-Viertels ausweiten. Die Ausweitung geht mit den Stimmen von SPÖ und FPÖ durch den Stadtsenat, die Grünen stimmen dagegen und Rücker meint schon damals, man könne „einem Konflikt nicht mit einer Verbotsflut begegnen, sondern muss damit anders umgehen“. Im September 2009 droht Nagl dann schon mit einer Aufkündigung der Koalition, wenn er mit den Grünen Großprojekte nicht auf Schiene bringen könne. Danach legt sich die Diskussion jedoch wieder. Genau ein Jahr später, im September 2010 finden die Landtagswahlen statt, bei denen die ÖVP in Graz große Verluste einfährt. Nagl gerät unter Zugzwang und will die direkte Demokratie mittels Bürgerbefragungen ausbauen und über Themen wie Umweltzone und Bettelverbot abstimmen lassen. Rücker erklärt, die Grünen würden bei einer Abstimmung über das Bettelverbot aus der Koalition aussteigen und zum wiederholten Mal wird die mögliche Spaltung der Koalition medial hochstilisiert. Schließlich wird die Entscheidung jedoch einfach auf Landesebene verlagert. Befragung gibt es keine. Im Februar 2011 wird das Gesetz von SPÖ, ÖVP und FPÖ als Novelle des Landessicherheitsgesetz beschlossen und im Mai tritt es steiermarkweit in Kraft.
Direkte Demokratie und das Ende einer Koalition
Anfang 2012 führt Nagl nach einiger Diskussion die erste Bürgerbefragung zu fünf verschiedenen Themen durch, unter anderem über die Errichtung eines Murkraftwerkes und die Weiterführung derartiger Abstimmungen. 30.000 Wähler nahmen dabei teil und alle fünf Fragen wurden bejaht. Die anderen Parteien, auch die Grünen bezeichneten die Befragung als „Farce“ und „Wahlkampfblase“. Dennoch will Nagl im Sommer wieder ein Bürgerbefragung zu Umweltzone und den Ankauf der Reininghausgründe durch die Stadt durchführen. Im Mai erreicht der Konflikt mit den Grünen über die Befragungen ihren Höhepunkt und Nagl beendet die Koalition. Nagl führt die Befragung im Sommer durch und erhält sowohl auf die Einführung einer Umweltzone als auch zum Ankauf der Reininghausgründe eine Absage.
Im Herbst 2012 gibt der Bürgermeister überraschend bekannt, dass er die Gemeinderatswahlen vom 20. Jänner 2013 auf den 25. November 2012 vorverlegen will. SPÖ, KPÖ und Grüne sehen das als Kalkül und Versuch, die Mitbewerber zu überrumpeln. Die Verlegung bietet aber auch noch aus einem anderen Grund eine seltsame Optik: Nagl lehnte nämlich im Dezember 2011 einen Antrag auf Vorverlegung der Wahlen seitens der FPÖ ab. Damals kommentierte er: „Die FPÖ meidet gerne die Weihnachtszeit, weil in dieser Zeit Grauslichkeiten nicht gut ankommen.“
Die SPÖ zerfleischt sich selbst
Die SPÖ war während der Koalition zwischen Grün und Schwarz medial hauptsächlich mit internen Streitigkeiten präsent. Nachdem Riedler das Amt des Stadtchefs von Walter Ferk übernommen hat, verlor er dieses Mitte 2010 bei einer Abstimmung am Parteitag wieder an seine Herausforderin Elke Edlinger. Doch auch dabei blieb es nicht. Die Streitigkeiten fanden kein Ende und nur kurze Zeit später wurde Parteiveteran Karl-Heinz Herper als interimistischer Parteichef angelobt, im Herbst folgte ihm die bisherige Landesrätin Bettina Vollath. Im Jänner 2011 übernimmt dann Edmund Müller, der bis dahin Chef der Joanneum Research war, die Führung der Stadtpartei. Im September desselben Jahres erklärt er allerdings seinen Rücktritt und Martina Schröck übernimmt den Vorsitz. Sie ist nun auch Spitzenkandidatin für die Wahlen. Die Odyssee, die die SPÖ auf der Suche nach einer Parteispitze geführt hat, schlägt sich aber auf die Prognosen nieder und Schröck werden gerade einmal knapp 15 Prozent vorausgesagt.
Wahlkampf
Der jüngste Wahlkampf verlief unspektakulär. Während Nagl anregte, Graz „anders“ zu denken und Martina Schröck stark auf einen Personen-zentrierten Wahlkampf setzte, beschrieben die Grünen, was „nur Grün kann“ und die KPÖ pochte das Wohnthema. Ihre Bemühungen auf diesem Gebiet und die Tatsache, dass die KPÖ-Politiker einen Teil ihres Verdienstes spenden, ist der Grund, warum sie so eine große Wählschaft hinter sich vereinen. Mit Kommunismus hat das selbstverständlich nicht viel zu tun und auch die Zahl der überzeugten Trotzkisten und Leninisten in Graz kann man wohl schnell abzählen.
Generell war in diesem Wahlkampf thematisch vor allem eines vorhanden: Gähnende Leere. Was aber auffiel war der Kontrast der Wahlkämpfe von FPÖ und BZÖ im Vergleich zu 2008. Im Gegensatz zu Susanne Winter trat der Spitzenkandidat der FPÖ, Mario Eustacchio, nur mit der standardisierten FPÖ-Rhetorik auf und auch Gerald Grosz und dessen BZÖ waren weit entfernt von dem 2008 Slogan „Wir säubern Graz“.
Und morgen?
Eines steht bei den Grazer Gemeinderatswahlen jetzt schon fest: Nagl wird Erster bleiben. Darüber sind sich so gut wie alle Beobachter einig. Spannend wird hingegen das Rennen um den zweiten Platz. Nach den starken Verlusten der SPÖ könnten vor allem die Kommunisten den Sozialdemokraten den Platz streitig machen und auch die Grünen und die FPÖ haben Chancen. Aber Nagl wird sein Bollwerk behalten.
Quellen
- www.graz.at/cms/ziel/1640907/DE
- stmv1.orf.at/stories/249098
- stmv1.orf.at/stories/336808
- stmv1.orf.at/stories/251182
- www.krone.at/Oesterreich/Grazer_Regierungspakt_ist_fixiert-Schwarz-Gruen_ist_fix-Story-93962
- derstandard.at/2097522?sap=2&_seite=5
- www.graz.gruene.at/cms/wp-content/uploads/koalitionsvertrag.pdf
- diepresse.com/home/panorama/oesterreich/465277/Alkoholverbot-im-Grazer-UniViertel
- www.kleinezeitung.at/steiermark/graz/graz/2105659/buergermeister-nagl-ich-gebe-den-gruenen-noch-ein-jahr.story
- derstandard.at/1285200095071/Nach-der-Steiermark-Wahl-Nagl-Fuer-Buerger-das-Letzte-vom-Letzten
- derstandard.at/1297216411252/Bettelverbot-Bettelverbot-in-der-Steiermark-beschlossen
- steiermark.orf.at/news/stories/2520719/
- derstandard.at/1336698269263/Steiermark-Grazer-Buergermeister-Siegfried-Nagl-kuendigt-Koalition-mit-Gruene
- www.kleinezeitung.at/steiermark/graz/graz/2897962/graz-wahl-2013-buergermeister-nagl-lehnt-vorverlegung-ab.story
- www.kleinezeitung.at/steiermark/graz/grazwahl/index.do
Foto: © Erika Winkler