Interview

„Ein Koller wechselt nie vor der 60. Minute"

Martin Blumenau, Journalist und teils geliebter, teils ungeliebter Fussballkritiker, spricht über die österreichische Nationalmannschaft unter Marcel Koller, über einen „Skandal“ im Sportjournalismus und warum es sich für die heimischen Klubmannschaften international „noch nicht ausgehen kann.“


paroli: Kann man Ihnen eine gewisse Affinität zur Person Marcel Koller nachsagen?

 

Nein. Wenn man nach der ersten Erwähnung von Koller in meinem Journal sucht, findet man – im Zusammenhang mit der damaligen Teamchef-Bestellung – im September ’11, also weit vor seiner Kür folgenden Halbsatz: „  ... selbst wenn es sich um einen Marcel Koller handeln würde.“ Sozusagen wer oder was nicht die bessere Lösung gewesen wäre, als das, was zu diesem Zeitpunkt herumschwebte. Es war nicht despektierlich gemeint. Und ich denke, dass diese Aussage ganz gut zeigt, dass es sich hierbei um kein Groupie-Verhältnis handelt, sondern um ein ganz natürliches. (lacht)

Lobende Worte zierten Ihr letztes Fußball-Journal: „Das ÖFB-Nationalteam ist dank seiner Arbeit in einem Bereich angekommen, der davor über Jahre hin einfach nicht herstellbar war.“ Es klingt beinahe so, als hätte Österreich mit Marcel Koller seinen Heilsbringer im Fußballsport gefunden. 

Das hat nichts mit einer Heldenverehrung zu tun. Ich würde es eher als eine Tatsache ansehen, mit der ich nicht allein dastehe, sondern die von der Kollegenschaft, die ich als seriös wahrnehme und respektiere, geteilt wird. Und wie das jetzt mit Guus Hiddink oder einen Mirko Slomka aussehen würde, weiß man ja nicht. Es ist durchaus Luft nach oben da. 

Was hat sich durch Marcel Koller für Sie verändert? 

Alles. Nicht jetzt unbedingt durch die Person oder durch die Arbeit, sondern durch die Tatsache, dass da eine Möglichkeit geschaffen wurde, Dinge überhaupt einmal anders machen zu können. Das gab es ja vorher nicht, da die Strukturen nicht vorhanden waren und weil ein hiesiger österreichischer Trainer, der eben aus der Ex-Nationalspieler-Schule kommt, gar keine Ansprüche gestellt hätte, etwas großartig anders zu machen. Ich möchte das am Beispiel Peter Pacult bei Rapid und Red Bull, äh Rasenball Leipzig demonstrieren. 

Nur zu.

Als der norwegische Spieler Soma (Anm. Ragnvald) neu zu Rapid gekommen ist, damals noch unter Pacult, hat er nach dem dritten Training in der Kabine gefragt, wann denn endlich das Taktiktraining an die Reihe kommen würde. Daraufhin haben ihn dann Heikkinen (Anm. Markus) und die anderen Spieler angesehen und gesagt: „Nie.“ 

In Leipzig hat Pacult mit der Mannschaft dann sehr wohl Taktik trainieren lassen. Was erzählt uns das? In Österreich macht er es nicht, weil er weiß, dass es nicht notwendig ist, weil es niemand einfordert. Bei Rapid kommt niemand auf die Idee, da etwas zu sagen. Hingegen ein moderner Stall wie Red Bull setzt das als Pflichtprogramm voraus. Die gleiche Person wirkt also in Österreich anders als beispielsweise in Deutschland. 

Ähnlich ist das mit dem österreichischen Nationaltrainer. Wenn dieser aus einem Pool kommt wie Peter Pacult, dann wird man auch nichts machen, da es nicht notwendig ist und es keinen Druck gibt. Den gab es bis vor ein paar Jahren nicht. Mittlerweile gibt es einen leichten medialen Druck. Wenn jemand von außen kommt, der über eine andere Sicht verfügt, wie eben Marcel Koller, dann kann etwas passieren, weil er es von sich aus machen würde. Er kommt aus einem anderen Umfeld, aus einer anderen Denkschule. Das ist der entscheidende Unterschied. Genau darum hat sich das Nationalteam unter Koller deutlich weiter entwickelt, als es sich unter jedem österreichischen Trainer hätte entwickeln können. 

Profitiert Marcel Koller womöglich auch durch die Dichte an gestandenen Legionären, die vielleicht ein Hickersberger 2008 bei der EM im eigenen Land nicht zur Verfügung hatte?

Der österreichische Fußball profitiert davon, das ist richtig. Das beruht vor allem auf der Tatsache, dass die Legionäre in Deutschland eine höhere Qualität haben und tatsächlich zu Spieleinsätzen kommen, was vor ein, zwei Jahren noch nicht gegeben war. Es ist kein Verdienst des ÖFB, kein Verdienst irgendeiner ihrer Trainer oder ein Verdienst der österreichischen Bundesliga. Die meisten Legionäre sind nicht über die Bundesliga nach Deutschland gekommen, sondern anderswie. 

Ich habe es mir einmal ausgerechnet: Das Verhältnis liegt etwa bei 60:40. Ein David Alaba ist aus der Akademie der Wiener Austria direkt transferiert worden, ebenso ein Raphael Holzhauser. Christian Fuchs geht jedoch mit 23 Jahren von Mattersburg nach Bochum. Das war einer von vielleicht zwei von fünf Fällen.  Ein Julian Baumgartlinger fällt mir noch ein. Er spielte in der Jugend von 1860 München und ist im Grunde in Deutschland sozialisiert worden. Klar kann dieser Spieler schneller und leichter zurückgeholt werden und sich in deutsche Spielsystemes integrieren. 

Letztlich ist das eine Entwicklung, an der  niemand außer diesen einzelnen Individuen, die es mit Hartnäckigkeit geschafft haben sich dort durchzusetzen, Schuld ist. Insofern sehe ich hier auch keinen Profiteur. Es waren keine Maßnahmen oder strukturellen Veränderungen, vielmehr war es Zufall, dass es zu dieser Entwicklung gekommen ist. 

Vier Siege, zwei Unentschieden und drei Niederlagen, so lautet die Bilanz nach neun Spielen. Kann man damit zufrieden sein? 

Über Ergebnisfetischismus und Statistiken bitte mit anderen diskutieren. Der Herr Kollege Grissemann (Anm. Christoph) macht das ganz gerne, falls Sie ihn etwas fragen wollen. Mich interessiert das gar nicht. 
Bilanzen sind fälschbar. Ein Beispiel: Constantini hat in einem seiner Jahre alle Testspiele vor eigenem Publikum angesetzt und hat bewusst schlechte Gegner eingeladen. Die Bilanz ist trotzdem schlecht ausgefallen. 

Derartige Bilanzen sind nicht an Siegen, Unentschieden oder Niederlagen messbar, sondern man muss sich auch ansehen, wann wer wo gegen wen gespielt hat. Nur dann macht das Sinn. Am ehesten wäre noch die kompliziert errechnete Weltrangliste ein Maßstab.  Aber selbst diese ist für Entwicklungen einer Mannschaft nicht wirklich heranzuziehen – das ist zumindest meine Meinung. 

Zuletzt meinten Sie, dass Koller langsam aber sicher zum Österreicher wird. Er hätte seine Stammmannschaft gewählt und würde andere, gute Leistungen von Spielern übersehen.  Früher war man aber immer der Meinung, dass es innerhalb des ÖFB kein Kollektiv gibt. Wie also soll der Teamchef nun vorgehen?

Das mit „Koller wird zum Österreicher“ hat jetzt weniger damit zu tun, dass er sich auf seine 35 Leute eingeschworen hat und damit eine Art Klubmannschaft simuliert, was durchaus sinnvoll ist, sondern eher damit, dass er in der damaligen Zeit in seinen Aussagen, warum er jetzt einen Spieler den anderen vorzieht, ein bisschen schwammig, ein bisschen vage, ein bisschen österreichisch geklungen hat. Er hat mich damals an Constantini (Anm. Dietmar) und seine Vorgänger erinnert. Dass er österreichische Züge annimmt, war vielleicht eine zugespitzt, populistische Aussage, die man so ernst nicht nehmen sollte. 

Gibt es weitere Punkte, die Ihnen negativ in Erinnerung geblieben sind?

Mir ist das Reagieren während eines Spiels zu zögerlich, Reaktionen auf Dinge, die nicht funktionieren, passieren viel zu spät. Leute von einer Klasse eines Mourinho’s, Klopp’s oder eines Cappello’s oder Hiddink’s, um auch die Älteren zu nennen,  nehmen auch in der 30 Minute eine taktische Umstellung vor oder machen in der Halbzeit alles anders, sollten sie merken, dass etwas nicht funktioniert. Ein Koller wechselt nie vor der 60. Minute. Und das auch bei Spielen, die ganz eindeutig nicht funktionieren. 

Beim ersten Spiel gegen Kasachstan hat er ident aufgestellt, wie eine Woche zuvor gegen Deutschland. Unter anderem mit Martin Harnik an vorderster Sturmspitze, was nicht funktioniert hat und dennoch hat er es bis zur 60. Minute durchgezogen. Und ich weiß nicht, ob man sich das im modernen Spitzenfußball leisten kann. Dass ist das Einzige, was mir das Jahr über öfters aufgefallen ist. 

Sind Sie der Meinung, dass man jedem Menschen eine Chance und vor allem Zeit geben sollte?

 

Selbstverständlich. Worum geht es genau?

Die österreichische Medienlandschaft kritisierte die Bestellung Marcel Kollers vehement, forderten einen österreichischen Weg. 

Das kann man so nicht sagen. Gefordert haben das die alten Medien, mit einer gewissen symbiotischen Kompanenschaft, die von ihren medieneigenen Experten, Kolumnisten und unter anderem Seilschaften leben, die natürlich gerne Interessen vertreten. Eine Zeitung in der Herbert Prohaska, Hans Krankl, Toni Polster oder sonst wer eine Kolumne schreibt, die natürlich gezwungen ist, dessen Interessen mit zu vertreten, wird natürlich aufheulen, wenn ein Ausländer kommt. Diese Medien haben das unterstützt, was damals in wirklich grauenvollen Aussagen in zwei, drei ganz furchtbaren Diskussionssendungen – ich erinnere mich da an eine entsetzliche Diskussion auf Sport Plus -  publiziert wurde. Hier gab es Zuspruch. 

Die neuen Medien, Fanforen und Blogs haben da eine ganz andere Linie. Auch die Webmedien haben sich da dezent zurückgehalten. Quasi nur die Medien, die eine bestimme Hauspolitik betreiben müssen, haben das „Oh Gott, der Ausländer nimmt uns die Arbeitsplätze weg“ unterstützt. Die anderen haben da ganz vernünftig reagiert. 

Sie lehnten sich gegenüber der Kleinen Zeitung dagegen und sprachen von „Brotneid.“ Agiert der österreichische Sportjournalismus dennoch oft zu blauäugig?

Das hat nichts mit Blauäugigkeit zu tun – das ist Politik. Medien sind keine unabhängigen Berichterstatter, denen die Objektivität aus den Poren herausquillt, sondern politische Mitspieler. Medien vertreten Eigentümerinteressen, Verlagsinteressen oder spezielle Kooperationsinteressen. Eine große österreichische Tageszeitung sponsert die Austria, die andere Rapid. Bei der einen ist der Kolumnist, bei der anderen jener. Die eine unterstützt Seilschaft A, die andere Seilschaft B. Das ist ein ewiges Geben und Nehmen. Ein System in dem Medien und Fußballbranche viel zu eng aneinander kleben, voneinander profitieren und voneinander abhängig sind. Deswegen wird hier ganz gezielt Politik gemacht. 

Wie stehen Sie dazu?

Das ist nicht nur negativ, das ist nicht die Aufgabe der Medien, sondern das Gegenteil dessen. Das ist abzulehnen. In Wirklichkeit ist das ein Skandal! 

Bei einer Livediskussion bei Sport am Sonntag im September 2011 wirkten Sie nicht abgeneigt, dagegen wie die schweizerische Nationalmannschaft arbeitet. Was macht gerade die Schweiz so besonders?

 

Hauptsächlich darüber gesprochen hat Ruttensteiner (Anm. Willibald), ich habe darauf nur geantwortet. Im Grunde ging es aber darum, dass der Herr Ruttensteiner angefressen war, weil  ich schon ein paar Veröffentlichungen vorher den Schweizer Fußballverband und den österreichischen verglichen habe. Wobei es mir da hauptsächlich um die funktionierenden Strukturen, auch im Jugendbereich ging. Unter anderem war auch einer der zentralen Punkte, dass von der A-Nationalmannschaft bis in die U15 dasselbe System gespielt wird und es diesbezüglich ganz klare Absprachen und Konzept gibt, welche es zum damaligen Zeitpunkt beim ÖFB nicht gab. Und ich habe auch die Erfolge der Schweizer Nachwuchsarbeit erwähnt, die unter anderem U21-Vizeeuropameister und U17-Weltmeister, wenn ich mich recht entsinne. Auf jeden Fall gab es auch große Erfolge in der Jugend. Und Ruttensteiner hat, nachdem ihn diese Vergleiche offenbar geärgert hatten, dieses Podium benutzt, um Gegenstatistiken und Parameter vorzulegen, die aus meiner Sicht nicht relevant waren. Das Lustige ist aber, dass er sich trotz seines Schweiz-Bashings damals einen Schweizer Trainer ausgesucht hat, der vor allem aus dieser Schule herausgewachsen ist. Das finde ich noch immer recht amüsant. 

Ist eine derartige Philosophie für Österreich wünschenswert? 

Ja, ich habe mir eigentlich auch erwartet, dass es in diesem ersten Jahr schon umgesetzt wird, davon ist allerdings nicht die Rede. Es mag Entwicklungen geben, aber die sind für mich noch deutlich ausbaubar, da ist noch extrem viel Luft nach oben. Da hätte ich mir eigentlich gedacht, dass ein bisschen mehr kommen würde.  Zumindest die U21 spielt jetzt ähnlich wie die A-Nationalmannschaft. Ich weiß auch gar nicht inwieweit Koller da eingebunden ist – Zugriffsrecht hätte er keines, das hätte Ruttensteiner – um in dieser Hinsicht etwas zu machen. Das wird sich vielleicht im nächsten Jahr herausstellen, ob es etwas wird und bringt – oder auch nicht. 

War für Sie die WM 2014 im Vorfeld je in Aussicht?

 Damit zu rechnen oder zu spekulieren halte ich für ein bisschen fahrlässig. Dazu sind die Gegner zu stark und die Entwicklung ist noch nicht so weit fortgeschritten. Gegen Deutschland und vor allem gegen Schweden sieht es in der aktuellen Form nicht gut aus. Gegen Schweden, so wie sie sich teilweise bei der Europameisterschaft präsentiert haben, da wäre vielleicht etwas möglich gewesen. Sie haben sich aber von einem schwachen Großereignis erholt und schon zwei, drei hervorragende Spiele abgeliefert. Es wird jetzt gegen Irland um Platz drei gehen und auch das wird nicht so einfach.

Wie viel Zeit würden Sie Marcel Koller gefühlsmäßig geben? Soll er bleiben?

 Es wäre schon sinnvoll. Denn nur langfristige und kontinuierliche Arbeit bringt auch etwas. Der Elchtest wird die Qualifikation für die Europameisterschaft 2016 sein. Daran werden 24 Mannschaften teilnehmen, da müsste sich etwas ausgehen. In Wirklichkeit müsste man sich dafür qualifizieren. Das klingt jetzt blöd, und ist vielleicht eine absurde Forderung, aber wenn dann nicht, wann dann? Hier qualifiziert sich quasi die Hälfte aller europäischen Nationen – da muss man dabei sein!

Wie stehen Sie zu Taktik im Fußball?

 

Fußball existiert nicht ohne Taktik.

Wie sieht das in Österreich aus? 

 Die Arbeit, die auch von einigen Trainern in der zweiten Liga geleistet wird, dass kann man sich jede Woche ansehen, ist taktisch ganz hervorragend. Was Damir Canadi jede Woche aus den kaum vorhandenen Möglichkeiten des FC Lustenau herausholt, das ist wunderbar. Was Martin Scherb mit einer namentlich nicht großartigen Mannschaft macht, ist toll. Was Adi Hütter aus einer Mannschaft gemacht hat, die im Vorjahr von einem planlosen Trainer im Nirgendwo gehalten wurde, ist ganz hervorragend. Was man in Altach macht, sieht auch sehr gut aus. Also da gibt es noch dutzende andere Beispiele von österreichischen Trainern, die taktisch sehr gut arbeiten. Auch was Peter Stöger mit der Austria Wien seit Anfang seiner Tätigkeit macht ist wirklich sehr ansehnlich. Da hat sich in den letzten Jahren einiges entwickelt, einiges getan. Und es muss halt dagegengehalten werden, wenn populistische Sprüche, wie: „Taktik braucht kein Mensch“,  aufkommen. Ist ja nicht so, als würden die Meinungsvertreter dessen eine Mehrheit stellen. 

Mit Hyballa, Schmidt und Stöger versuchen drei Trainer mit modernem Offensiv-Fußball eine neue Linie in den heimischen Ligabetrieb zu bringen. Was halten Sie davon?

Jeder neue Input ist interessant und hat eine Folgewirkung. Ich denke auch, dass man sich an dem wie Sturm teilweise spielt, manchmal sieht es sogar aus wie ein 4-2-4, in absehbarer Zeit auch in den unteren zwei Ligen orientieren wird. 
 Zuletzt konnte man es auch beim Spiel zwischen Salzburg und der Austria sehen. Man hat nicht in identischen, aber in sehr ähnlichen Formationen gespielt und hat sich auf einem sehr hohen Niveau neutralisiert. Das ist ein Level, den es vor einem Jahr noch nicht gegeben hat. Da profitieren alle voneinander. 
 

Aber hat es in Österreich überhaupt einen Sinn, neue und offensive Wege einzuschlagen, wenn die halbe Liga an einem defensiven Fußball-Konstrukt festhält?

Ich persönlich sehe jetzt eigentlich niemanden, der sich hinten reinstellt, muss ich ehrlich sagen. Wenn man jetzt die untere Tabellenhälfte hernimmt: Innsbruck hat immer versucht mitzuspielen, auch unter Kogler (Anm. Walter) und ist oft gescheitert. Man kann Pfeifenberger (Anm. Heimo) viel vorwerfen, aber nicht, dass er sehr defensiv spielen lässt. Mattersburg spielt sogar sehr ansehnlich, finde ich. Sie sind sogar die einzigen im unteren Bereich, die auch etwas aus ihren Außenverteidigern machen.  Die Admira spielt einen überfallsartigen Offensivfußball. Ried spielt offensiv anständig. Für mich ist es demnach eher ein nach vorne gerichtetes Spiel, als nach hinten. 

Wie würden Sie das Niveau der Bundesliga deuten?

 

Nachdem sich auch die anderen nicht nach hinten entwickeln, ist dieser Niveauanstieg in der österreichischen Bundesliga zwar schön, aber führt jetzt auch nicht unbedingt dazu, dass man international besser mithalten kann. Wenn man sich nun vielleicht die letzten fünf Jahre ansieht, die Wellentäler zusammenrechnet und den Fünfjahresschnitt hernimmt, dann erkennt man eine Stagnation, die darauf zurückzuführen ist, da sich eben alle entwickeln. Gott sei dank entwickelt sich der österreichische Fußball nun auch, aber noch nicht in dem Maß, das notwendig wäre, um wirklich einen Sprung nach vorne zu machen. Man müsste sich logischerweise ein Spürchen besser entwickeln als die anderen, die bleiben schließlich auch nicht stehen. 

Rapid etwa verliert von fünf Spielen in der Gruppenphase fünf. Leverkusen, Metalist Kharkiv sind klar eine Stufe über die Wiener zu stellen. Trondheim ist zwar stark, setze ich aber vielleicht noch auf Augenhöhe. Liegt das für Sie an der fehlenden Dynamik innerhalb der Liga oder eher an der fehlenden Qualität?

Man muss dazusagen, auch Rosenborg spielt in der Meisterschaft gegen Stavanger oder Odd Grenland. Und diese Mannschaften sind jetzt auch nicht besser oder schlechter als Mattersburg oder Ried. Darum geht es nicht. Rosenborg Trondheim ist ein Verein, in dem seit gefühlten 20 oder 30 Jahren kontinuierlich sowie taktisch und strategisch sehr gut gearbeitet wird. Da baut jede Trainer- oder Spielergeneration auf dem auf, was vorher da war. 

Und bei Rapid, wo jetzt in der Ära Schöttel (Anm. Peter) ein bisschen etwas weitergeht, also präziser gedacht, geplant, beobachtet und strategisch gehandelt wird, ist man da natürlich noch Zweiter. Hier geht es genau um das, was ich vorhin gesagt habe. Rapid müsste den deutlich größeren Sprung machen. Und wie soll sich das gegen eine Mannschaft wie Rosenborg Trondheim, die kontinuierlich arbeiten, ausgehen? Das kann sich nicht ausgehen. Man hat es in beiden Spielen gesehen und gemerkt. Die waren wesentlich präziser aufgestellt. Also was diese auch auf den Positionen eines Sechsers oder Achters für Leute haben, derartiges gibt es in der österreichischen Liga kaum, weil die Anforderungen gar nicht gestellt werden. 

Da ist man halt zufrieden, dass der Kulovits (Anm. Stefan) die Kampfgelse ist oder ein Heikkinen brav nach hinten absichert und die Bälle erobert. Aber was Diskerud (Anm. Mikel) und Svensson (Anm. Jonas) auf der Position spielen, hat einfach internationales Niveau. Und das bringen in Österreich vielleicht Kavlak (Anm. Veli), Alaba (Anm. David), Pehlivan (Anm. Yasin), Baumgartlinger (Anm. Julian), der junge Tobias Kainz, vielleicht noch Leitgeb (Anm. Christoph), Manuel Weber, wenn er in guter Form ist oder Jürgen Säumel, wenn er nicht verletzt ist. Da gibt es ein paar, aber zu wenig. Und bei diesem Verein ist das Standard - den wir gerade anstreben. 

Herr Blumenau, vielen Dank für das Gespräch.

Gern geschehen. 

 


Steckbrief

Martin Blumenau wurde am 5. November 1960 geboren und ist seit 1981 journalistisch tätig. Zunächst textete er für diverse Jugend- und Musikzeitschriften, später war er Redakteur bei den Tageszeitungen Kurier und der früheren Arbeiter-Zeitung. 1983 arbeitete er dann für den Radiosender Ö3 und hier speziell für die Sendungen „Die Musicbox“, „Treffpunkt, Radiothek“ und „Nachtexpress“, aber moderierte auch jene von Ö1, wie zum Beispiel „Diagonal“. 1994 plante Blumenau gemeinsam mit Angelika Lang und Mischa Zickler den öffentlich rechtlichen Jugendradiosender FM4. 

Seit der Jahrtausendwende, als FM4 auf einen 24-Stunden-Betrieb umstellte, ist er dort auch für die interne Kommunikation, Strategie und Koordination als Leiter Traffic & Continuity verantwortlich. Seit 2004 agiert er auch als Juror beim Protestsongcontest. Bekannt wurde er unter anderem auch wegen seines Journals auf der Webseite von FM4, das anlassbezogen erscheint und, wie er selbst schreibt, „Geschichten aus dem wirklichen Leben“ beinhaltet. 

Fotos: (c) Yvonne Widler