Analyse
Wehrpflicht oder Berufsheer? Wir dürfen direkte Demokratie üben!
In zwei Tagen wird eine Entscheidung aufs Volk abgewälzt, für die wohl kaum einer passende Grundlagen hat. Der nun zum Experten erkorene Bürger soll hier eine Aufschlüsselung von Argumenten vorfinden.
Durch seinen Schwenk in der Wien-Wahl hat Michael Häupl den schon vorher angeschlagenen Verteidigungsminister Darabos endgültig verheizt. Dazu hat er, der noch Monate zuvor von der Wehrpflicht als „in Stein gemeißelt“ sprach, auch selbst ordentlich beigetragen. Er habe seine Meinung nun einmal geändert, so Darabos. Viel wahrscheinlicher scheint, dass der Verteidigungsminister nun ein organisatorisches Grundprinzip seines Ressorts angreift, das er früher – sei es wegen des mangelnden politischen Konsenses, sei es weil er sich nicht die Finger verbrennen wollte – wohlweislich unangetastet ließ. Darabos dürfte wohl nie ein überzeugter Wehrpflichtanhänger gewesen sein. Das Verwerfliche ist, dass er nun seine frühere Indifferenz als Meinungsumschwung zum Guten verkaufen will. Die illegale Absetzung des Stabschefs des Bundesheeres General Entacher ist nur der Zuckerguss auf der völlig verfehlten Verteidigungspolitik des Verteidigungsministers. Dass die ÖVP nun als Außenstehende mit dem Finger auf Darabos zeigt, ist aber genauso unangebracht. Schließlich waren es ihre Wehr- und Spitzenpolitiker, die vor wenigen Jahren nicht nur ein Berufsheer sondern auch einen NATO-Beitritt ins Auge gefasst hatten.
Das Österreichische Volk wird also befragt, ob die allgemeine Wehrpflicht beibehalten, oder ob es in Zukunft ein Berufsheer geben soll. Die Regierung selbst konnte sich in dieser Frage nicht einigen. Hier wird also eine Entscheidung, oder eine Entscheidungsgrundlage auf uns abgewälzt, und wenige können die Vor- und Nachteile abschätzen bzw. haben überhaupt eine Meinung zur Thematik.
Also sollte sich der nun zum Experten ernannte Wahlberechtige eine ordentliche Entscheidungsgrundlage in Sachen Verteidigungspolitik gönnen. Es geht hier schließlich um die Sicherheit unseres Staates. Aufgrund unserer Neutralität müssen wir uns nämlich im Ernstfall in puncto Landesverteidigung um uns selbst kümmern.

PRO Berufsheer
- Nach der Grundausbildung zu Beginn wird der Grundwehrdiener im jeweiligen Spezialbereich trainiert. Bis er diesen beherrscht, ist das Ende des mittlerweile nur noch sechs Monate andauernden Grundwehrdienstes erreicht und er geistig bereits beim abrüsten. Zudem geht das erlernte Wissen mit der Zeit verloren.
- Freiwillige Menschen arbeiten besser als Unfreiwillige und demnach könnte man auch mit freiwilligen Zivildienern arbeiten – um das Argument zu entkräften, dass es dann keine Zivis mehr geben würde.
- Wehrpflicht ist staatliche Willkür und - wenn man so möchte - Zwangsdienst. Dies steht in Konflikt mit der Freiheit des Individuums. Präsenz- und Zivildienst stellen massive Eingriffe in die persönliche Freiheit und Freiheit der Berufswahl dar. Die Wehrpflicht mag in Zeiten, als an Österreichs Grenzen NATO und Warschauer Paktstaaten lauerten, gerechtfertigt gewesen sein. Heute, da alle österreichischen Nachbarstaaten außer Liechtenstein und der Schweiz Mitglieder der NATO sind, ist sie das nicht mehr. Junge Menschen allein aufgrund ihres Geschlechtes zu einer verfassungsrechtlich legitimierten aber unterbezahlten Zwangsarbeit einzuteilen ist eine Ungeheuerlichkeit, die auch nicht mit Ängsten um höhere Sozialkosten und verkümmernde Rettungsorganisationen aufzuwiegen ist. Das Argument der Wehrpflichtbefürworter „Niemand würde freiwillig zum Bundesheer gehen, daher müssen wir die Leute zwingen“ spricht schon Bände. Die Ungleichheit zwischen Wehr- und Zivildienst und Mann und Frau verschärft die Ungerechtigkeit des Zwangsdienstes noch zusätzlich.
- Im Wehrdienst lernt man, dass man selbst nicht zu denken hat, schon gar nicht kritisch.
- Durch die zwangsweise Verpflichtung junger Menschen zum Wehrdienst geht der Volkswirtschaft deren Arbeitskraft direkt nach der Ausbildung verloren. Daraus ergeben sich Verluste. Auch die jungen Menschen selbst sind oft nicht glücklich über die "Lücke'" im Lebenslauf.
- Wenn kein Berufsheer kommt, müssen auch die Frauen zum Heer. In Österreich "genießt" Wehrpflicht für Männer Verfassungsrang. Verfassungswidrig kann sie daher nicht sein. Allerdings ist Österreich dem Geltungsbereich der Europäischen Menschenrechtskonvention und der Gerichtsbarkeit des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofes unterworfen. Da dieser nach dem angloamerikanischen „Common Law“ urteilt, das bei der Gesetzesauslegung wesentlich mehr Rücksicht auf soziale Entwicklungen nimmt, liegt es durchaus im Bereich des Möglichen, dass er die einseitige Diskriminierung von Männern beim Thema Wehrpflicht in absehbarer Zeit als konventionswidrig einstufen wird. Das Argument, dass Frauen grundsätzlich weniger verdienen als Männer, rechtfertigt einen unterbezahlten Zwangsdienst für Männer um diese Einkommenslücke auszugleichen nicht. Darüber hinaus ist bei 18-Jährigen ihre zukünftige Verdienstsituation noch nicht absehbar. Einem 50-jährigen Hilfsarbeiter kann man sechs verschwendete Monate ebenso wenig zurückgeben, wie man eine 50-jährige Top-Managerin nachträglich zum Heer schicken kann. Alle Argumente gegen eine Frauenwehrpflicht, das Kinderkriegen, Haushaltsführung etc., stammen aus dem letzten Jahrhundert. Wie emanzipierte Frauen, die dafür gekämpft haben, nicht mehr als Gebärmaschinen betrachtet zu werden, tatsächlich die biologische Tatsache, dass Frauen Kinder kriegen und Männer nicht, als Grund für ihre pauschale Ausnahme von der Wehrpflicht anführen, ist mehr als befremdlich. Nach dieser Logik müssten z.B. unfruchtbare Frauen eingezogen werden. Das Geburtenargument stimmt schon allein statistisch nicht mehr. Lag die Fruchtbarkeitsrate 1960 noch bei 2,69 Kindern pro Frau, so waren es 2010 1,44 Kinder Bei den 25- bis 29-jährigen Frauen sind mehr als 60 Prozent kinderlos, bei den 30- bis 43-Jährigen immerhin noch an die 40 Prozent.
- Der Zivildienst ist bis heute lediglich ein Wehrersatzdienst, der aus Gewissensgründen gewählt werden kann. In seiner Anfangszeit wurde er vor allem von FPÖ und ÖVP massiv angefeindet. Immer noch müssen Zivildiener ihre Tätigkeit drei Monate länger ausüben als Soldaten. Den jahrzehntelang stiefmütterlich behandelten Ersatzdienst jetzt als Argument für die Beibehaltung der eigentlichen Hauptverpflichtung heranzuziehen ist mehr als scheinheilig.
- Ein Sozialsystem, dessen Tätigkeiten nicht mehr von zwangsweise eingezogenen Männern verrichtet wird, wird zwangsläufig teurer. Ein Zivi erhält derzeit 301,40 Euro pro Monat Grundpauschale, das entspricht in etwa dem Pro-Kopf-Einkommen in Indien. Wenn an seinem Arbeitsplatz keine Verpflegung angeboten wird, kommen noch 12 Euro am Tag dazu, dann verdient er so viel wie ein Indonesier. Die Frage ist also nicht, ob Österreich mehr für sein Sozialsystem ausgeben wird müssen, sondern warum es dies noch nicht tut? Kann sich eine entwickelte Demokratie moralisch gesehen ein Sozialsystem leisten, das auf Ausbeutung und der Annahme, dass 18-Jährige noch zuhause durchgefüttert werden und daher nicht mehr als ein Taschengeld brauchen, beruht? Im Übrigen hat Schweden, einer der entwickeltsten Sozialstaaten auf Erden, weder Wehrpflicht noch Zivildienst und steht auch nicht vor dem Staatsbankrott.
- Schweden hat die Wehrpflicht 2010 ausgesetzt. Seine Militärausgaben im Verhältnis zum BIP betrugen 2007 1,38 Prozent, sanken im Jahr vor der Aussetzung 2009 auf 1,25 Prozent und betrugen in den ersten zwei Jahren des Berufsheeres je 1,27 Prozent. Auch in Deutschland (Wehrpflichtaussetzung 2011) sanken die Militärausgaben von 1,44 Prozent (2009) über 1,37 Prozent (2010) auf 1,31 Prozent (2011). Italien verzichtete 2005 auf die Wehrpflicht, auch hier gingen die Militärausgaben von 1,97 Prozent (2004) auf 1,57 Prozent (2011) zurück. Auch in Kroatien, Frankreich und Belgien nahmen die anteilsmäßigen Ausgaben für Landesverteidigung am BIP nach der Abschaffung der Wehrpflicht ab.
PRO Wehrpflicht
- Ein Berufsheer sendet man eher in den Krieg, weil das Entsenden von Armeen, die sich aus Unfreiwilligen zusammensetzen, weniger einfach zu argumentieren ist.
- Ein Berufsheer würde in einem Bürgerkrieg eher auf die Bevölkerung schießen. Das Trauma von 1934 hat vor allem die Sozialdemokratie jahrzehntelang zu der Annahme veranlasst, dass sich ein auf der allgemeinen Wehrpflicht basierendes Heer nicht für politische Zwecke instrumentalisieren lassen würde. Allerdings hat die Wehrpflicht im Zweiten Weltkrieg keine Kriegsverbrechen verhindert. Im Übrigen basiert auch die syrische Armee auf dem Prinzip der Wehrpflicht. Ob sich Streitkräfte gegen die eigene Zivilbevölkerung einsetzen lassen oder nicht, liegt vor allem am politischen System und der Bereitschaft des Einzelnen die Folgen einer Desertion in Kauf zu nehmen. Trotzdem liegt der Schluss nahe, dass damals das Berufsheer der Befehlskette mehr verpflichtet war (und heute wäre) als der Bevölkerung. Eine aus allen Schichten der Bevölkerung besetzte Wehrpflicht wäre vielleicht nicht gleichsam gegen das eigene Volk vorgegangen.
- Wehrpflicht führt unterschiedliche soziale Schichten zueinander. Für eine Gesellschaft ist es vorteilhaft, wenn sich ihre Armee aus den verschiedensten Berufsgruppen, Schichten und ethnischen Hintergründen zusammensetzt. So kann sich der Einfluss bestimmter Bevölkerungsgruppen in Grenzen halten und andererseits wächst das Wir-Gefühl. Weiter belegt folgende Studie, dass der sozioökonomische Status oft verantwortlich für die Entscheidung zu einem Beitritt zum Berufsheer darstellt: Je schwächer das Einkommen, desto eher leistet man den Heeres-Dienst ab.
Nichtwähler entziehen sich der Abstimmungsfarce und wählen weiß
Es mag gute Gründe geben, nicht an einer Abstimmung, die den Anschein erweckt als müssten Kinder über die zerrüttete Beziehung ihrer Eltern abstimmen, teilzunehmen. Die Volksbefragung ist auch nicht mehr als ein Beweis für die absolute Unfähigkeit von SPÖ und ÖVP, gemeinsam eine zukunftsorientierte Verteidigungspolitik zu gestalten. Dennoch werden niedrige Wahlbeteiligungen nicht als Protest, sondern als Desinteresse der Bevölkerung gewertet. Mit der Alternative, einen leeren Zettel abzugeben, ist zwar ein gewisses Protestpotential, aber auch der Verlust der Wahlmöglichkeit verbunden. Auch wenn einem die Umstände der Volksbefragung sauer aufstoßen mögen, haben dennoch die meisten eine Ansicht zum Thema. Ob man sein demokratisches Stimmrecht für eine Verweigerungshaltung gegenüber den politischen (noch)Mehrheitsparteien aufgeben möchte, ist letztlich jedem selber überlassen.
Fallen euch noch weitere Argumente ein?