Reportage
"Wir werden weiter für unsere Rechte kämpfen"
Seit der Räumung des Refugee-Camps im Wiener Sigmund-Freud-Park am 28. Dezember suchen 126 Asylwerber in der Votivkirche Schutz. Dass es dabei um Menschen in individuellen Extremsituationen geht, scheint immer mehr in Vergessenheit zu geraten.
Es ist Freitagnachmittag als wir zur Votivkirche kommen. Der Eingang wird von zwei Securities kontrolliert. Immer wieder kommen Personen vorbei und erkundigen sich beim Sicherheitspersonal nach der Situation der Flüchtlinge. Wir beobachten eine ältere Frau, die anbietet pürierte Suppe vorbeizubringen und wissen will, was die Menschen in der Kirche sonst noch so benötigen. "Suppen, Decken, warme Kleidung", lautet die Antwort. Als wir um Zutritt bitten, verständigen die Aufseher eine Person der Caritas, die uns erklärt, dass auf Entscheid der Erzdiözese Wien seit den Weihnachtsfeiertagen nur mehr begrenzter Zugang möglich sei. Insgesamt fünf außenstehende Personen dürfen sich nur mehr gleichzeitig bei den Menschen in der Kirche aufhalten. Ausgenommen sind jene, die über einen Presseausweis verfügen. Den Besetzern ist das Verlassen und Betreten der Kirche zu jedem Zeitpunkt gestattet. Beim Verlassen erhalten diese von der Security einen grünen Zettel, um später ohne Probleme wieder hineingelangen zu können.
Schwertner: "Die Situation ist nicht ungefährlich!"
In der Votivkirche ist es ruhig, fast andächtig, aber vor allem ist es kalt. Wie wir später erfahren werden, hat es im Inneren der Kirche bei den gegenwärtigen Außentemperaturen ungefähr drei Grad. Im linken Flügel können wir das Matratzenlager erkennen. Laut Klaus Schwertner, Sprecher der Wiener Caritas, stehen derzeit 126 Personen unter dem Schutz der Kirche. Wie viele davon momentan im Hungerstreik sind, kann dieser nicht genau sagen. Zuletzt las man von 40 bis 60 Personen. "Die Situation ist nicht ungefährlich. Zu Weihnachten sind 15 bis 20 Personen ins Krankenhaus gebracht und teils stationär, teils ambulant behandelt worden", erzählt er uns. Man sei vor allem über mögliche Folgeschäden des Hungerstreiks besorgt. Dauerschäden an den Nieren und auch die erhöhte Gefahr von Schlaganfällen können nicht ausgeschlossen werden. Schwertner zeigt sich jedoch erleichtert darüber, dass der zu Anfangs überlegte Durststreik nicht umgesetzt wurde.
Bereits am 18. Dezember bat die Erzdiözese Wien die Caritas um Unterstützung bei der Versorgung der unter dem Schutz der Kirche stehenden Personen. Seit diesem Tag sind rund um die Uhr zwei Personen von Caritas in der Votivkirche vor Ort. Die ärztliche Versorgung wird von den Johannitern durchgeführt. Täglich finden Gesundheitschecks in der Sakristei statt.
- (c) Hans Hochstöger
- (c) Hans Höchstöger
- (c) Hans Hochstöger
- (c) Hans Hochstöger
- (c) Hans Hochstöger
- (c) Hans Hochstöger
- (c) Robert Erlachner
"We are all human, we are all the same, we are one!"
Wir treffen Shakil aus Pakistan. Shakil ist 22 Jahre alt und ist von Pakistan nach Österreich geflohen. In seinem Heimatland hat er Medizin studiert. Seine Familie wird politisch verfolgt und befindet sich momentan in der Hauptstadt Islamabad. Aufgrund der politischen Situation überredete ihn sein Vater zur Flucht. Wie er uns verrät, befindet sich Shakil seit ungefähr 70 Tagen in Österreich. Zuerst war er in Kärnten. Wie wir vermuten, wurde er dort aufgegriffen und dann ins Erstaufnahmezentrum Traiskirchen gebracht, um einen Antrag auf Asyl zu stellen. Am 24. November ist der dann zu Fuß von Traiskirchen nach Wien gekommen. Shakil befindet sich zurzeit nicht mehr im Hungerstreik. Aufgrund seines Gesundheitszustands haben ihm die Ärzte davon abgeraten. In der Stadt fühlt sich Shakil wohler als am Land. Dort wären er und andere Asylwerber von der Bevölkerung völlig abgeschnitten gewesen. Hier in Wien hat er die Gelegenheit mit vielen unterschiedlichen Menschen in Kontakt zu kommen. Der 22-Jährige will unbedingt hier bleiben, Deutsch lernen und seine Ausbildung fertig machen. "We are all human, we are all the same, we are one", sagt er des Öfteren und wünscht sich nichts mehr als ein Recht auf Aufenthalt, Leben und Bildung. Die Unterstützung der österreichischen Bevölkerung sei ihm und den anderen bei diesem politischen Anliegen besonders wichtig. Kleidung, Decken und Suppen sind für ihn diesbezüglich nur zweitrangig. Die Tatsache, dass derzeit nur fünf externe Personen gleichzeitig Zugang zu ihnen haben, ärgert Shakil, da sie nun wieder stärker isoliert sind.
Auf die Frage wie die Situation unter den Besetzern aussieht, erklärt er uns, dass alle zusammenstehen und für ihre Anliegen kämpfen. Die niedrigen Temperaturen machen ihm und den anderen aber besonders zu schaffen. Er selbst würde deshalb immer erst spät in der Nacht schlafen gehen, da die Kälte das Einschlafen erschwert. Die Körperpflege erledigt er in der Fachbereichsbibliothek für Soziologie und Politikwissenschaft am Rooseveltplatz. Später geht er zum Beten in die Moschee. Möglicherweise meint er damit die nahegelegenen Gebetsräume in der Türken- oder Währingerstraße. Shakil versucht so viel Zeit wie möglich im Freien zu verbringen, denn meist ist es da wärmer als in der Votivkirche.
Während unseres Besuchs hält sich auch ein Team des ORF in der Kirche auf. Einige der Besetzer sitzen in einem Halbkreis rund um die Journalisten des ORF und erläutern augenscheinlich ihre Situation, ihre Forderungen und Anliegen. Klaus Schwertner von der Wiener Caritas wäre beruhigt, wenn der Hungerstreik bald ein Ende nehmen würde. Ein großes Problem ist seiner Meinung nach, dass viele der Besetzer glauben, dass sich durch den Protest ihr Status von einem auf den anderen Tag ändern könne. Immerhin, fügt er an, sei positiv, dass das Innenministerium die Zusicherung gab, dass jeder der Fälle noch einmal durch ein Einzelprüfungsverfahren gehen werde.
Innenministerium: Keine Änderungen im Asylrecht geplant
Wie lange der Protest noch anhält ist derzeit nicht abzuschätzen. Konkrete Ergebnisse sind bisher weder durch die Besuche von Kardinal Schönborn und Othmar Karas noch durch das Gespräch zwischen Innenministerin Mikl-Leitner und vier Vertretern der Kirchenbesetzer zustande gekommen. In den letzten Tagen war sowohl von Seiten des Innenministeriums, der Caritas und Wiens Bürgermeister Häupl von einer "Instrumentalisierung" und "politischem Missbrauch" der Asylwerber durch deren Unterstützer die Rede. Die individuelle Situation, mit welcher anerkannte Flüchtlinge und Asylwerber in Österreich konfrontiert sind, droht dabei unterzugehen. Ob deren Forderungen, wie etwa ein erleichtertes Recht auf Arbeit und Aufenthalt (siehe Fact-Box), oder das Löschen ihrer Fingerabdrücke (siehe Fact-Box), sowie die freie Wahl der Unterkünfte, von Seiten der österreichischen Regierung nachgekommen wird, muss bezweifelt werden. Zuletzt hieß aus es aus dem Innenministerium, dass keine weiteren Gespräche stattfinden werden und keine Änderungen im Asylrecht geplant sind.
Auf Seiten der Menschen in der Votivkirche ist man mit den bisher angebotenen Lösungsvorschlägen nicht einverstanden. Die zugesicherten Unterbringungsmöglichkeiten von Caritas und der Stadt Wien entsprechen keiner Lösung, die für die Betroffenen akzeptabel wäre, da sich damit an der Gesamtsituation für Asylwerber und Flüchtlinge in Österreich nichts ändern würde. Denn ein stark eingeschränktes Recht auf Arbeit und Bildung, enorm lange Wartezeiten im Asylverfahren und eine starke soziale Isolation von der heimischen Bevölkerung trüben die Hoffnungen auf eine positive Zukunft, ein Leben in Würde und Selbstbestimmung und persönliche wie auch berufliche Entwicklungsmöglichkeiten - daran kann auch eine warme Herberge nichts ändern. Wie sich die gegenwärtige Situation weiterentwickeln wird und wie lange die Proteste noch andauern, wagt Klaus Schwertner jedenfalls nicht abzuschätzen: "Positiv an der ganzen Situation ist, dass die Menschen schon einiges erreicht haben. Zwar hat dies bisher Nichts an ihrer individuellen Situation geändert, aber sie haben es geschafft eine große Debatte über die österreichische und EU-weite Asylpolitik zu entfachen. Das ist ja auch nicht Nichts!" Shakil wird diese Einschätzung möglicherweise nicht teilen. Eine bloße Debatte hilft ihm und den anderen Menschen in der Votivkirche nicht weiter. Deshalb wollen sie auch dort bleiben und weiter für ihre Rechte und eine lebenswerte Zukunft kämpfen.
Fact-Box
Die Dublin-II-Verordnung (Verordnung (EG) Nr. 343/2003) aus dem Jahr 2003 ersetzt das Dubliner Übereinkommen aus dem Jahr 1990 und regelt die Zuständigkeit, Kriterien und Mechanismen der EU-Mitgliedstaaten (plus der Nicht-EU-Länder Norwegen, Island, Schweiz und Liechtenstein) für die Bearbeitung von Asylanträgen. Die Verordnung soll verhindern, dass eine Person mehrere Asylanträge stellt. In der Regel ist der EU-Staat zuständig, den der Asylsuchende als Erstes betreten hat. Mittels der Eurodac-Datenbank werden die Fingerabdrücke der Asylsuchenden gespeichert, um die Zuständigkeit zu regeln und Mehrfach-Asylanträge zu verhindern.
Quelle
EUR-Lex - Der Zugang zum EU-Recht; eur-lex.europa.eu
Das Ausländerbeschäftigungsgesetz regelt die Beschäftigung von Ausländern auf österreichischem Bundesgebiet. Asylwerber, die seit drei Monaten zum Asylverfahren zugelassen sind, haben die Möglichkeit einer zumindest befristeten Tätigkeit als Saisonkräfte im Tourismus oder als Erntehelfer in der Landwirtschaft. Da Prostitution in Österreich kein anerkanntes Gewerbe darstellt, kann ein Asylwerber seinen Lebensunterhalt auch durch Prostitution verdienen. Die monatliche Zuverdienstgrenze liegt bei 109.99 Euro. Wird diese überschritten, fällt der beschäftigte Asylwerber aus der Grundversorgung des Bundes.
Quelle
Bundesrecht konsolidiert - Gesamte Rechtsvorschrift für Ausländerbeschäftigungsgesetz