Analyse
Parteienpoker in Liechtenstein
Liechtenstein steht vor schwierigen Zeiten. Außenpolitisch ist es unter Druck geraten. Die Staatseinnahmen sind um ein Viertel eingebrochen. Mittlerweile werden sogar Entlassungen im Staatsdienst diskutiert. Unter diesen Vorzeichen wird am Sonntag der Landtag neu gewählt.
Mitten im Feld, einige Gehminuten vom Grenzdorf Nofels entfernt, sieht man vor einer wackeligen alten Steinbrücke ein Schild mit schwarz-gelb eingefärbtem Pfosten. Darauf steht, gekrönt von einem Doppeladler: „Kaiserthum Österreich, Land Vorarlberg, Bezirkshauptmannschaft Feldkirch, Gerichtsbezirk Feldkirch“. Hier, am westlichsten Rand des Vielvölkerreiches lag, zur der Zeit als die Hinweistafel aufgestellt wurde, ein Zwergstaat unter den Fittichen des Kaisers von Österreich. Der Fürst des Landes lebte weit weg als Obersthofmeister in Wien. Die Post, die Eisenbahn, die Gerichte die für sein Land zuständig waren, waren österreichisch. Das Kaisertum gibt es schon lange nicht mehr, hinter dem Schild liegt heute längst die EU-Außengrenze und dahinter noch immer Liechtenstein.
Das Fürstentum ist etwas größer als die Wiener Gemeindebezirke Floridsdorf und Donaustadt zusammen und hat weniger Einwohner als der Alsergrund. Doch auch an ihm ist die Zeit nicht spurlos vorüber gegangen: Die Krone wurde vom Franken abgelöst und als Berufungsgericht fungiert mittlerweile nicht mehr das OLG in Innsbruck. Auch der Fürst lebt jetzt in Vaduz, lässt sich aber bei den Regierungsgeschäften von seinem Sohn, dem Erbprinzen, vertreten. Im Hauptort der letzten Monarchie im deutschsprachigen Raum befindet sich auch der Sitz der Gerichte, der Regierung und des Parlaments. Wie die Queen, allerdings weniger pompös, eröffnet der Erbprinz in Vertretung seines fürstlichen Vaters alljährlich den 25-köpfigen Landtag. Am Sonntag wird dieser neu gewählt.
Fürst und Volk
Liechtenstein ist eine konstitutionelle, aber keine parlamentarische Monarchie. Die Souveränität wird nicht nur formal, sondern auch de facto von Fürst und Volk gemeinsam ausgeübt. Dabei nimmt der Monarch immer wieder erheblichen Einfluss auf die Politik und weigert sich bisweilen auch Gesetze zu unterschreiben. Das politische System des Landes ist im Wesentlichen geprägt von zwei Großparteien, Vaterländische Union (VU) und Fortschrittliche Bürgerpartei (FBP), die sich – bis zu deren Aufhebung durch den Staatsgerichtshof 1962 – ihre Monopolstellung im Landtag mit einer 18 Prozent-Klausel sicherten. Mittlerweile schafft durch die neue 8 Prozent-Hürde auch eine dritte Partei, die Freie Liste (FL), regelmäßig den Einzug ins Parlament. Zur Wahl am 3. Februar tritt mit den Unabhängigen (DU) außerdem eine weitere Liste an. Die derzeitige Regierung wird von den beiden Großparteien gebildet, obwohl die VU zunächst mit 13 Sitzen über eine absolute Mehrheit im Landtag verfügte. Im Laufe der Legislaturperiode verließ jedoch ein Abgeordneter die Fraktion.
Konservativ bis ins Mark
Sowohl VU, als auch FBP sehen sich als Volksparteien mit christlichem Wertesystem und stehen hinter der Monarchie, wobei die FBP als tendenziell katholischer und fürstentreuer gilt. Das macht jedoch ihre Antipode, die Vaterländische Union, nicht zwangsläufig zu einer linksliberalen Partei im herkömmlichen Sinne. Sie wurde ursprünglich aus einem Zusammenschluss christsozialer und deutschnationaler Verbände gegründet. Der Unterschied zwischen VU und FBP kann eher mit dem zwischen ÖAAB und Wirtschaftsbund verglichen werden. Als Sammelbecken all jener, die in Österreich SPÖ oder Grüne wählen würden, fungiert bisher die derzeit bei 8,9 Prozent liegende FL. Seit Jahrzehnten bilden FBP und VU entweder alleine oder in Koalition miteinander die Regierung. Dieser Status Quo wird einerseits durch die starke parteipolitische Bindung durch Herkunft und familiäres Umfeld, andererseits durch den in Liechtenstein herrschenden Mangel an unabhängigen Medien gestützt. Sowohl die Vaterländische Union, als auch die Fortschrittliche Bürgerpartei halten sich mit „Liechtensteiner Vaterland“ und „Volksblatt“ jeweils eine der beiden einzigen Tageszeitungen des Landes als Parteiblatt. Die Vormachtstellung des Konservativismus in Liechtenstein basiert aber auch auf einem gesellschaftlichen Grundkonsens. Frauen dürfen erst seit 1984 wählen, die Todesstrafe wurde drei Jahre später abgeschafft. 2003 gelang es dem Fürsten gegen die Widerstände liberaler Kreise eine umfassende Verfassungsänderung zu seinen Gunsten durchzusetzen. Die Initiative, mit der sich das Staatsoberhaupt einen entscheidenden Einfluss auf die Ernennung der Richter und ein ausgedehntes Notverordnungsrecht sicherte, erhielt bei einer Volksabstimmung über 64 Prozent. Zuvor hatte der Fürst angekündigt, er werde anderslautenden Entscheidungen des Volkes seine Zustimmung verweigern und das Land verlassen. Kürzlich lehnten die Liechtensteiner außerdem die Abschaffung des fürstlichen Vetorechtes für alle Gesetze und die Aufhebung des Abtreibungsverbotes ab. Auch bei letzterer Abstimmung hatte der Erbprinz angekündigt, die zur Gesetzwerdung notwendige Sanktion zu verweigern, selbst wenn das Volk zustimmen sollte. Immerhin findet derzeit ein Trennungsprozess zwischen Staat und Religion statt, an dessen Ende die katholische Kirche ihre Stellung als Landeskirche verlieren soll.
Neue Kandidaten, alte Probleme
Bei der nunmehrigen Wahl treten auf Seiten der Großparteien zwei neue Gesichter gegeneinander an, nachdem sowohl der bisherige Regierungschef Klaus Tschürtscher (VU) als auch sein Stellvertreter, Wirtschafts-, Bau- und Verkehrsminister Martin Meyer (FBP), die Politik verlassen. Einzige Konstante im Kandidatenfeld bleibt der langjährige FL Abgeordnete und Arzt Pepo Frick. Für die VU tritt der Treuhänder Thomas Zwiefelhofer, für die FBP der Polizeichef Adrian Hasler an. Konsens herrscht sowohl innerhalb der Koalition, als auch mit der Freien Liste, dass das Budgetdefizit, das heuer 207 Millionen Franken (ca. 171 Millionen Euro) betragen wird, reduziert werden muss. Das Land hat vor allem aufgrund der Finanzkrise mit einem Einbruch von 25 Prozent auf der Einnahmenseite zu kämpfen. Prognostizierten Ausgaben von 909 Mio. Franken stehen aktuell Einnahmen von 623 Millionen gegenüber. In dieser Situation muss das Land zudem mit anderen Staaten, die seine Rolle als Fluchtort für Steuerhinzerzieher nicht länger gutheißen wollen, über Finanzabkommen und automatisierten Informationsaustausch verhandeln. Dass der entsprechende Vertrag mit Österreich so schnell abgeschlossen wurde, liegt vor allem an der anstehenden Wahl in Liechtenstein. Im Finanzbereich hat die Regierung auch mit ihren eigenen Landtagsfraktionen zu kämpfen. Immer wieder hat das Parlament in der ausgehenden Legislaturperiode der eigenen Regierung bei Sparvorschlägen die Gefolgschaft verweigert. So scheiterte sie mehrfach mit dem Versuch eine neue Mindestertragssteuer einzuführen. Auch wenn vor allem die FBP mittlerweile die Regierungsarbeit kritisiert, gilt es als wahrscheinlich, dass sich beide Großparteien nach der Wahl wieder auf eine Koalition einigen werden. Für eine so breite Mehrheit im Parlament wie bisher, 23 von 25 Sitzen, wird es für VU und FBP aber möglicherweise nicht mehr reichen.
Neue Konkurrenz
Als Unsicherheitsfaktor gilt vor allem die Protestbewegung der Unabhängigen, die sich nicht als klassische Partei verstehen wollen und vor allem Verschwendungen bei Telekom und Landesspital sowie die hohen Verluste der Landesbank kritisieren. Jedenfalls birgt das Antreten der DU die Gefahr für die FL durch Stimmenverluste ihren neuerlichen Einzug in den Landtag zu verpassen. Aufgrund der 8 Prozent-Hürde könnten bei dieser Wahl bis zu über 15 Prozent der Bevölkerung ihre Stimmen einer der beiden eher linksliberalen Listen geben, ohne damit auch nur einen Landtagssitz zu verteilen. Die Freie Liste selbst setzt im Wahlkampf auf klassische rot-grüne Themen allerdings oft mit einer gewissen liechtensteinischen Abmilderung („Reiche moderat stärker besteuern“, „Abschwächung des Vetorechts des Fürsten“). Ihr Spitzenkandidat schließt außerdem nicht aus, dass aufgrund der Budgetkrise Staatsbedienstete entlassen werden könnten.
Die Großparteien nehmen die Konkurrenz vom linken Rand durchaus ernst, geben sich mit eher inhaltsleeren Wohlfühlslogans („Aus Verantwortung für Liechtenstein – mit Herz und Weitblick Zukunft schaffen“ (VU) oder „Wer Verantwortung trägt, wählt FBP“) entsprechend staatstragend und versuchen mit Veranstaltungen („Fondue-Plausch der Ortsgruppe Planken“) ihre Basis zu mobilisieren.
Spiel mit ungewissem Ausgang
Der Wahlausgang bleibt dennoch ungewiss. Am Ende könnte sowohl ein Zwei-, als auch ein Vier-Parteien-Parlament stehen. Die bisher einzige Umfrage, die jedoch auf einer nicht repräsentativen Online-Abstimmung der VU-Zeitung „Liechtensteiner Vaterland“ basiert, sieht die eigene Partei bei 44,8 Prozent, die FBP bei 40,5 Prozent sowie FL bei 7,9 Prozent und DU bei 6,8 Prozent. Zu berücksichtigen ist allerdings auch, dass die Fragestellung kryptisch wissen wollte, welche der Gruppierungen „den besten Wahlkampf“ geführt habe. Der größte Machtfaktor im Land wird den Liechtensteinern aber jedenfalls erhalten bleiben, Hans Adam II. und Erbprinz Alois erfreuen sich bester Gesundheit.
- Bilder: Presse- und Informationsamt, Vaduz, Commons
Weiterführende Links
Das politische System Liechtensteins
Der liechtensteinische Landtag wird alle vier Jahre von den im Land ansässigen Staatsbürgerinnen und Staatsbürgern gewählt. Auslandsliechtensteiner sind nicht wahlberechtigt. Er besteht aus 25 Abgeordneten die in zwei Wahlkreisen (Ober- und Unterland) bestimmt werden. Der Landtag ist nach Schweizer Muster nach dem Milizsystem organisiert, das keine Berufspolitiker kennt und die politische Arbeit im Parlament lediglich mit Taggeldern abgilt. Die 8 Prozent-Hürde, das mehrheitsfördernde Verhältniswahlrecht (nach Hagenbach-Bischoff und D’Hondt) und die Aufteilung der Landtagssitze auf die beiden Landesteile (Oberland 15, Unterland 10) können bei der Mandatsermittlung zu gewissen Verschiebungen führen. So erhielt die VU bei der letzten Wahl 2009 mit 47,6 Prozent der Stimmen 52 Prozent der Mandate.
Der Landtag erstattet dem Fürsten Vorschläge für die Posten des Regierungschefs und der vier weiteren Minister (Regierungsräte), die schließlich von diesem ernannt werden. Die Regierung ist dem Landtag und dem Staatsoberhaupt gleichermaßen verantwortlich. Der Fürst beruft den Landtag jährlich ein und schließt ihn, das Parlament besitzt also nur ein bedingtes Selbstversammlungsrecht. Auch kann er den Landtag jederzeit auflösen, was bisher neunmal, zuletzt 1993, vorgekommen ist. Es ist üblich Fragen mit innen- oder außenpolitisch heiklem Inhalt (z.B. Beziehungen des Landtages zum Landesfürsten) in geheimen Parlamentssitzungen zu erörtern. Die Protokolle dieser Sitzungen unterliegen einer 50-jährigen Sperrfrist. Die meisten Gesetzesmaterien werden im Plenum selbst behandelt, daneben bestehen sogenannte Kommissionen (Ausschüsse). Alle Gesetzesbeschlüsse des Landtages bedürfen zu ihrer Gültigkeit der Sanktion (Genehmigung) des Landesfürsten. Dieser hat seine Zustimmung in der Vergangenheit bereits mehrfach verweigert bzw. die Verweigerung angedroht. Eine Abschaffung des fürstlichen Vetorechts wurde vom Volk 2012 jedoch mit 76,1 Prozent der Stimmen abgelehnt. Das Hausgesetz der Familie Liechtenstein wird ohne Mitwirkung des Landtages vom Fürsten mit dem Familienrat erlassen. In ihm ist unter anderem die Erbfolge (Primogenitur nach dem Mannesstamm) festgelegt.