aus dem Sinn
Internetsucht
"Nach allgemeinen Schätzungen sind es weltweit rund 30 Millionen Menschen, die nach Schulschluss oder Feierabend in künstliche Welten einsteigen."
1994 Geburtsstunde des Begriffs
1995 Bezeichnung "IAD" wird etabliert
1998 Erste deutschsprachige Studie
1999 Erste große Online-Befragung
2001 Schweizer Studie
2005 China: Studie zu Internetsucht bei Jugendlichen
2007 Kinder und Jugendliche in Deutschland
2009 Studie zu Computerspiel-Abhängigkeit
2011 Pinta-Studie
Internetsucht, Onlinesucht, Computersucht – drei Begriffe, die Ähnliches determinieren. Die älteste und bekannteste Bezeichnung ist Internetsucht, aus ihr sind die übrigen Beschreibungen über die letzten Jahrzehnte entwachsen und sie dient somit als eine Art Oberkategorie, mit der aber jede Sucht gemeint sein kann, die im Internet passiert. Die US- Amerikanerin und Psychologin Kimberly Young war 1994 eine der Ersten, die sich mit dem Begriff der Internetsucht und der dahinterstehenden Symptomatik beschäftigt hat:
“It was time to find out. Drawing on the same criteria used to diagnose compulsive gambling and alcoholism, I devised a short questionnaire to pose to Internet users. I asked:
- Do you feel preoccupied with the Internet (i.e., think about previous on-line activity or anticipate on-line session)?
- Do you feel the need to use the Internet with increasing amounts of time in order to achieve satisfaction?
- Have you repeatedly made unsuccessful efforts to control, cut back, or stop Internet use?
- Do you feel restless, moody, depressed, or irritable when attempting to cut down or stop Internet use?
- Do you stay on-line longer than originally intended?
- Have you jeopardized or risked the loss of a significant relationship, job, educational, or career opportunity because of the internet?
- Have you lied to family members, a therapist, or others to conceal the extent of your involvement with the Internet?
- Do you use the Internet as a way of escaping from problems or of relieving a distressed mood (e.g., feelings of helplessness, guilt, anxiety, and depression)?
I posted the questionnaire on that November 1994 day on several Usenet groups – virtual discussion places where Internet users can send and receive messages on specific topic areas. [...] Yes, my respondents wrote, they were addicted to the Internet. They stayed online for 6, 8 even 10 or more hours at a time, day after day, despite the problems this habit was causing in their families, their relationships, their work life, and their school work. They felt anxious and irritable when off-line and craved their next date with the Internet. And despite Internet-triggered divorces, lost jobs, or poor grades, they couldn’t stop or even control their online usage.”
1995 hat sie die Bezeichnung „Internet Addiction Disorder“ (IAD) eingeführt und gilt als dessen Begründerin. Im gleichen Jahr hat sie das Center for Internet Addiction gegründet und seitdem viele anerkannte Werke zur Thematik verfasst, wobei davon besonderen Zuspruch „Caught in the Net“ (Young, 1998) und „Breaking free of the web“ (Young, 2007) fanden.
„I have developed the first empirically-based treatment model to cure Internet addiction. My Digital Detox Rehab™ program consists of a specialized Cognitive-Behavioral Therapy techniques for Internet Addictions, which is called CBT-IA ©. This specialized program consists of weekly sessions or we can arrange half-day or full-day intensives. This program is not only for the individual who suffers from Internet addiction but family education and consultation is a large part of recovery.“
Die erste deutschsprachige Studie zur Thematik wurde von Hans Zimmerl, vom Wiener Anton Proksch Institut, im Jahre 1998 durchgeführt. Diese Studie bezog sich ausschließlich auf Chat-Rooms und wies damals eine Prävalenz (Häufigkeit einer Krankheit oder eines Symptoms) von 12,7 Prozent auf.
„Es lässt sich also behaupten, dass nach obigem Maßstab 12,7 % der Probanden ein suchtartiges Verhalten aufweisen, welches als Pathologischer Internet- Gebrauch (PIG) benennbar ist. […] Das zweite auffällige Ergebnis, welches hier hervorgehoben werden soll, ist jenes, dass insgesamt über 20%, bzw.30,8% der Subgruppe: “PIG” angeben, einen “rauschähnlichen Zustand” bei intensivem chatten zu erleben. […] Zum dritten schließlich sei noch hervorgehoben, dass die Bereitschaft der Probanden zu Selbstreflexion offenbar hoch ist, wenn man in Betracht zieht, dass 40,9% der Subgruppe “PIG” sich selbst als “süchtig” einstufen.“ (Zimmerl, 1998, S.31)
1999 wurde von der Humboldt Universität Berlin, unter der Anleitung von Andre Hahn und Matthias Jerusalem, die erste wirklich breit angelegte Onlinebefragung im deutschsprachigen Raum durchgeführt. Die Prävalenz-Rate der Internetabhängigkeit betrug für die BRD etwa drei Prozent. Das entsprach damals 300.000 Internetnutzern. Die Online-Zeit betrug im durchschnittlich 35 Stunden pro Woche.
2001 führten Franz Eidenbenz, vom Institut „Offene Tür Zürich“, und Andre Hahn, von der Humboldt Universität Berlin, die im Jahre 1999 in Deutschland begonnene Forschung fort und führten eine Studie zu Internetsucht in der Schweiz durch. Man kam zu dem Ergebnis, dass 2,3 Prozent der Befragten als süchtig und 3,7 Prozent der Befragten als internetsuchtgefährdet eingestuft werden können:
„Für die Schweiz haben wir zusammen mit der Humboldt Universität eine aktuelle Stichprobe (2001) erhoben und sind auf ähnliche Werte gestoßen. Auch bei einer vorsichtigen Interpretation heißt das, übertragen auf Österreich mit 3 Millionen Internetanschlüssen, dass wir mit über 50.000 Abhängigen rechnen müssen. Alle Berufsgruppen und sozialen Schichten sind betroffen - vom einfachen Arbeiter bis zum Akademiker. Krisensituationen und schwierige Lebensphasen können die Entwicklung einer Abhängigkeit begünstigen.“
Im Jahr 2005 veröffentlichte die Organisation „China Youth Net Association“ ihre erste Studie zum Thema Jugendliche und Internetsucht in China. Die Untersuchung basierte auf 22.500 Fragebögen, die in 25 Provinzen verteilt wurden. Das Ergebnis zeigte, dass 13,2 Prozent der Jugendlichen internetabhängig waren. Vergleichbar mit europäischen Studien war die Mehrzahl der Abhängigen, nämlich 60 Prozent, männlich. Laut den Ergebnissen der Studie war kein Zusammenhang zwischen Internetabhängigkeit, sozialem Status oder der geografischen Lage erkennbar.
2007 haben Sabine Grüsser et al. (2007, o. S.) eine Onlinebefragung unter Jugendlichen durchgeführt, bei der festgestellt wurde, dass 11.9 Prozent der rund 7.000 Befragten als internetspielsüchtig eingestuft werden können.
„Kinder und Medien“ (KIM) und „Jugendliche, Internet und Multimedia“ (JIM) sind Studien, die jährlich erhoben werden, um das Medienverhalten von Kindern (KIM) und Jugendlichen (JIM) auszuforschen. KIM (2010, S. 69-70) zeigt, dass die Haushalte, in denen Kinder zwischen sechs und 13 Jahren aufwachsen, sehr gut mit Medien ausgestattet sind – 89 Prozent haben einen Internetanschluss. Drei Viertel der Kinder zählen zu den Computernutzer und jedes zweite Kind im Alter von sechs bis sieben Jahren nutzt ab und zu einen Rechner. Die häufigsten Tätigkeiten am Computer sind Spielen und Arbeiten für die Schule sowie Texte verfassen. Das Internet wird aber auch privat benützt. 50 Prozent der Kinder sind Onliner und von diesen geht jedes vierte Kind täglich ins Internet. Mit zunehmendem Alter steigt die Verwendung des Computers und Internet und die Häufigkeit der Nutzung an.
Diese Ergebnisse sind interessant, da laut dem Psychotherapeuten Wolfgang Gombas davon ausgegangen werden kann, dass unter anderem schon während der Kindheit, die Basis zu einer späteren Pathologisierung gelegt wird.
Rehbein et al. haben im Jahr 2009 in Deutschland im Auftrag des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen eine Studie veröffentlicht, die sich der Computerspielabhängigkeit im Kindes- und Jugendalter widmet:
„In den Jahren 2007 und 2008 haben 44.610 Schüler neunter Klassen an einer vom Bundesinnenministerium geförderten, bundesweit repräsentativen Schülerbefragung des KFN teilgenommen. Jedem dritten Befragungsteilnehmer (N = 15.168) wurde dabei ein umfassendes Zusatzmodul zur Internet‐ und Computerspielnutzung vorgelegt. 4,3 Prozent der Mädchen und 15,8 Prozent der Jungen weisen ein exzessives Spielverhalten mit mehr als 4,5 Stunden täglicher Computerspielnutzung auf. Die Befunde der Untersuchung bestätigen zudem ein bedeutsames Abhängigkeitspotenzial von Video‐ und Computerspielen. Basierend auf einer neu entwickelten Computerspielabhängigkeitsskala, die sich eng an die Klassifikation des ICD‐10 anlehnt, werden 3 Prozent der Jungen und 0,3 Prozent der Mädchen als computerspielabhängig und weitere 4,7 Prozent der Jungen und 0,5 Prozent der Mädchen als gefährdet diagnostiziert.“
Anhand der obigen Schilderungen kann man erkennen, dass die Anzahl der Internetsüchtigen und der Internetsuchtgefährdeten jährlich ansteigen. Auch die 2011 veröffentlichte Pinta-Studie aus Deutschland bestätigt dies. "Rund 2,5 Millionen Menschen im Alter von 14 bis 64 Jahren in Deutschland zeigen ein auffälliges Verhalten im Umgang mit dem Internet. Etwa 560.000 gelten sogar als internetsüchtig." So das Resultat der ersten bundesweit repräsentativen Studie zur Internetabhängigkeit. Besonders gefährdet sei demnach die Altersgruppe der 14- bis 24-Jährigen. Glaubt man der Studie, so entfallen aus ihr alleine 250.000 Abhängige und 1,4 Millionen Personen mit “problematischem” Nutzungsverhalten. Weiter zeigt Pinta, dass es vor allem bei jungen Menschen Soziale Netzwerke sind, die zur Sucht führen.
- (c) S.R. Ayers
Quellen
Zimmerl, Hans & Panosch, Beate (1998). Internetsucht – Eine neumodische Krankheit? In Wiener Zeitschrift für Suchtforschung 21/4. S. 19-34.
China Youth Net Association (2005). China Youngsters Network Addiction Data Report.
Center for Internet Addiction Recovery (2013). Kimberly Young’s Biography.
Rehbein, Florian; Kleimann, Matthias & Mößle, Thomas (2009). Computerspielabhängigkeit im Kindes und Jugendalter. Empirische Befunde zu Ursachen, Diagnostik und Komorbiditäten unter besonderer Berücksichtigung spielimmanenter Abhängigkeitsmerkmale. Forschungsbericht 108.
Hahn, André & Jerusalem, Matthias (1999). Stress und Sucht im Internet. Erste Ergebnisse einer On-Screen-Studie. Vortrag an der Humboldt-Universität zu Berlin. (September 1999), Berlin.
Eidenbenz, Franz (2001). Online zwischen Faszination und Sucht. In Wiener Zeitschrift für Suchtforschung Jg. 25/2002 Nr.1/2. Offene Tür Zürich. S. 77-80.
Grüsser, Sabine, Thalemann, Ralf & Griffiths, Mark (2007). Excessive computer game playing: evidence for addiction and aggression? In: Cyberpsychology and Behavior, 10 (2), 290-292.
Young, Kimberly (1998). Caught in the net. How to recognize the signs of Internet Addicion – and a winning strategy for recovery. New York: Wiley & Sons.
KIM-Studie (2010). Kinder + Medien. Computer + Internet. Basisuntersuchung zum Medienumgang 6- bis 13-Jähriger in Deutschland. Medienpädagogischer Forschungsverband Südwest, Baden-Württemberg (LFK).
JIM-Studie (2011). Jugend, Information, (Multi-) Media. Basisstudie zum Medienumgang 12- bis 19-Jähriger in Deutschland. Medienpädagogischer Forschungsverband Südwest (Hrsg.), Stuttgart.
Pinta-Studie (2011).
Dr. Wolfgang Gombas