Reportage
Zwischen Big Mac und Heroin – ein Tag mit Sebastian
Spät aufstehen, Freunde treffen, mittags bei McDonald’s Burger essen und am Abend ausgehen. Das Leben von Sebastian sieht auf den ersten Blick nicht viel anders aus als das Leben vieler Mittzwanziger. Sebastian ist jedoch Ende 40 und heroinabhängig.
Das Haus nahe der Felberstraße im 15. Bezirk in Wien wirkt von außen recht freundlich. Der Altbau scheint neu renoviert zu sein, die Fenster sind mit bunten Bildern beklebt und das Stiegenhaus ist sauber geputzt. Ein seltsames Gefühl in der Magengegend macht sich trotzdem breit, kurz bevor Sebastian seine Wohnungstür öffnet und bittet „doch gerne hereinzukommen“.
Sebastian ist gebürtiger Kärntner und gelernter Einzelhandelskaufmann
Bei einem gemeinsamen Kaffee erzählt der 48-Jährige über seine Kindheit und Jugend in einer kleinen Stadt in Kärnten und davon wie er erstmals mit Drogen in Berührung kam. „Ich war 15 Jahre alt und das Mädchen in das ich verliebt war, wollte einen Joint mit mir teilen – da konnte ich nicht nein sagen“, erzählt er. Nach diesem Erlebnis hat Sebastian nie wieder gekifft. Er mag es nicht, dass ihn das Gras so lasch macht und er dann nur noch vor dem Fernseher hängt und über alles lachen muss. Auf die Frage hin, wie er denn zu Alkohol stehe, öffnet er einen Schrank in der aufgeräumten Küche, der voll mit Bierdosen einer Billigmarke ist.
„Warum ich mit dem ‚Braunen’ (Heroin) angefangen habe, kann ich gar nicht genau sagen. Ich hatte damals ein paar Freunde, die es ab und zu genommen haben“, erklärt der derzeit Beschäftigungslose. „Damals“ bedeutet vor zirka 18 Jahren, denn seit 1995 spritzt sich Sebastian schon Heroin. Anfangs nur am Wochenende, wenn er bestimmte Bekannte trifft, die meist Stoff bei sich haben. In den ersten beiden Jahren des Konsums wirkt sich die Droge - nach seiner Meinung - auch nicht negativ auf seinen Alltag und seine Arbeit aus. Zu dieser Zeit ist der gelernte Einzelhandelskaufmann noch in einem kleinen Betrieb, der Freunden seiner Eltern gehört, tätig.
Gumpendorfer Straße und Josefstädter Straße
Sebastian sagt, er wolle ein paar Freunde treffen. Die Kaffeetassen werden abgespült und mit den Fahrrädern geht es Richtung Gumpendorfer Straße. Vor dem Gebäude der Suchthilfe Wien stehen einige Menschen die Zigaretten rauchen während sie sich unterhalten und ein dunkel gekleideter Sicherheitsbeamter. Sebastian begrüßt zwei Männer mittleren Alters. Sie unterhalten sich über verschiedene Themen und werden zwischendurch etwas leiser oder beginnen zu flüstern. Nach etwa einer Stunde verabschieden sie sich und die beiden Männer verschwinden im Gebäude, Sebastian radelt den Gürtel entlang bis zu der U6-Station Josefstädter Straße. Dort begrüßt er wieder einige herumstehende Männer und unterhält sich mit einem von ihnen länger. „Wir arbeiten öfters zusammen. Gerade vor ein paar Wochen erst, als so viel Schnee gefallen ist, haben wir Gehsteige frei geschaufelt“, erklärt der junge Mann. Fixen Arbeitsplatz hat Sebastian keinen. Er hält sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser. Auf die Frage, wie er sich das teure Heroin leisten kann, entgegnet er freundlich aber bestimmt, dass man sich darum keine Sorgen machen muss. „Apropos“, fährt er fort und schwingt sich ohne ein weiteres Wort auf das Rad.

Wo bleibt F?
Auf der Rückseite des Westbahnhofs führt eine Brücke über die vielen Verschubgleise. Dort stehen zahlreiche Güterwagons so wie Personenzüge der ÖBB und der Westbahn. Sebastian hält auf der Brücke und versucht mehrmals jemanden mit seinem Handy zu erreichen. Er wirkt nervös und leicht gereizt. „Ich komme gleich wieder“, ruft er, während er bereits davonfährt. Nach wenigen Minuten ist er wieder zurück und flucht: „ Wo ist dieser F.? Wo bleibt er bloß?“ Sebastian tritt ohne weitere Worte in die Pedale. Er stoppt erst am Karlsplatz und stellt dort sein Rad nahe dem Otto-Wagner-Pavillon ab. Gleich darauf erhält er einen Anruf.
„Ich setze mich jetzt in die nächste 1er Bim, die kommt und bin gleich wieder da“, teilt Sebastian mit. Minuten später fährt eine alte Straßenbahngarnitur in die Station am Karlsplatz ein, er steigt in den hinteren der beiden Wagons ein und nimmt neben einer jungen Frau Platz.
Einen Big Mac, ein mittelgroßes Cola und einmal Gitterpommes
Nach über einer Stunde kehrt Sebastian zu Fuß zurück. Er wirkt deutlich entspannter als vorhin und will unbedingt etwas essen. Im McDonald’s am Schwarzenbergplatz bestellt er sich ein Menü und anschließend einen Kaffee. Als er seine Jacke im Lokal auszieht kommen erstmals seine Unterarme zum Vorschein, da die Ärmel seines hellblauen Langarmhemds, anders als zu Hause, jetzt aufgekrempelt sind. Deutlich sind Einstichlöcher und Narben zu sehen. „Ein unschöner Nebeneffekt der ganzen Sache“, lächelt Sebastian, „aber alles andere kickt mich nicht so.“ Er habe schon so ziemlich alles ausprobiert – von Kokain über Speed bis zu Crystal Meth. Neulich sogar Krokodil, ein relativ neues Rauschmittel, welches vor allem in Russland sehr beliebt ist und aus Hustentabletten und ähnlichen Arzneiwaren gewonnen wird. Der 48-Jährige hat schon mehrere Entzugversuche abgebrochen und sagt, dass er für sich selbst entschlossen hat, keinen weiteren Anlauf starten zu wollen.
Was das Leben für einen bereit hält
„Man kann nichts im Leben planen. Glaubst du ich hätte gedacht, dass ich einmal in Wien ende!?“ Deshalb hat Sebastian auch keine großen Pläne mehr. „Klar, mein Leben ist nicht gerade großartig, aber anderen geht es viel schlechter. Und raus komme ich sowieso nicht mehr." Sebastian trinkt den letzten Schluck seines Kaffees und räumt den Tisch ab. Er zieht sich seine Jacke wieder an, verlässt das Fast-Food-Restaurant und setzt sich auf sein Rad. Zur Verabschiedung gibt es einen kräftigen Händedruck und schon tritt er wieder in die Pedale und fährt davon.