Analyse

Wege aus der Sucht

Wenn aus der Gewohnheit Abhängigkeit wird. Viele Menschen suchen Hilfe auf ihrem Weg aus der Sucht. In Deutschland gibt es 1.600 Drogentherapie- Einrichtungen. Einige von ihnen unterstützen auch hinter Gittern.


Suchtberatung, Drogentherapie. Klienten oder Patienten. Bezeichnungen und Einrichtungen für Menschen, die einem übermäßigen Drogengebrauch verfallen sind, gibt es viele. Diese Analyse gibt einen Überblick über die Therapiemodelle und untersucht im Speziellen die Beratung in Justizvollzugsanstalten, also in Gefängnissen.

Wenn aus Gewohnheit Sucht wird, spricht man medizinisch von einer Krankheit. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) betitelt es so: „Drogenabhängigkeit ist ein Zustand psychischer Abhängigkeit oder ein Zustand psychischer und körperlicher Abhängigkeit von einer Substanz mit zentralnervöser Wirkung, die zeitweise oder fortgesetzt eingenommen wird.“

In Österreich gibt es 160 Suchtberatungsstellen, in Deutschland sind es zehnmal so viele. In Spitälern, medizinischen Forschungseinrichtungen und in der Pharmaindustrie wird versucht, den Kranken Wege aus der Drogensucht zu ermöglichen. Der Staat ist der größte Geldgeber für Suchteinrichtungen, Förderungen aus der EU sowie solche von privaten Spendern kommen noch dazu. 

Die ambulante Entwöhnungsbehandlung steht der stationären Gegenüber. Ambulant heißt, dass der oder die Süchtige regelmäßig, manchmal auch täglich, in die Therapiestelle kommt. Das setzt einen hohen Grad an Eigenverantwortlichkeit der betroffenen Menschen voraus: Sie müssen eine feste Tagesstruktur, soziale Netzwerkressourcen und eine gute Abstinenzfähigkeit haben.

Wer sind die Süchtigen?

Die Suchtberatungsstelle der Aktionsgemeinschaft Drogenberatung EV Saarbrücken gibt in ihrem Jahresbericht 2011 bekannt, dass die Zahl der Personen, die sich einen stationären Aufenthalt wünschen und derer, die ihn tatsächlich annehmen, stark variiert. Etwa ein Drittel aller Anträge werden wahrgenommen.

Mangelndes Durchhaltevermögen sowie eine niedrige Frustrationstoleranz - das seien Gründe für die hohe Zahl der Abbrüche, so die AG Drogenberatung. Wichtig sei vor allem eine ausreichende Motivationstherapie. Die Therapeuten versuchen den Süchtigen Ansporn zu geben, ohne Drogen durch den Alltag zu kommen und die Abhängigkeit als Erkrankung zu akzeptieren. 

Neun von zehn Patienten in der Drogenberatung sind männlich. Insgesamt haben im Jahr 2011 etwa 1600 Personen in der AG Drogenberatung Rat gesucht. Der hohe Männeranteil ergibt sich, da die externe Suchtberatung in Gefängnissen ausschließlich Männer erreicht. 

Cannabinoide und Opioide- Kiffen und Medikamente. Dann folgt Alkoholsucht und zu einem kleinen Teil kommen die Patienten auch wegen Polytoxikomanie, also der Abhängigkeit von mehreren illegalen Substanzen, in die Beratung. Verschwindend gering sind die Zahlen der nicht substanzgebundenen Süchte. Pathologisch spielsüchtig ist nur eine von 20 Personen, Computersucht trat in der Drogenberatung in Saarbrücken noch gar nicht auf. So auch bei Annette Wilde. Sie ist Sozialpädagogin und externe Suchtbeauftragte in vier Gefängnissen in Bayern. Computersucht? Habe sie insgesamt erst zweimal erlebt. Wohl weil „meine Klienten eher auf der Straße unterwegs sind als vorm Computer zu sitzen.“ 

 

  • Diagnosen in der Beratungsstelle 2011
  • (c) Jack Hudson

Therapie statt Strafe?

In Haft leisten die Therapeuten Suchtberatung und vor allem -begleitung. Das sei der große Unterschied zu "draußen". Zudem werde versucht, Therapieplätze für die Zeit nach dem Gefängnis zu organisieren, dies können stationäre Aufenthalte oder "betreutes Wohnen" sein. 

Jene Häftlinge, die einen stationären Aufenthalt brauchen, bekommen diesen auch in Haft. Die erste Station stellt in Haft die Zugangsabteilung dar. Wenn sie stark entzügig sind, besteht die Möglichkeit, auf die Krankenstation zu kommen. Die Therapeutin Wilde spricht mit ihren Klienten erst, wenn sie entzogen sind. Die Gespräche finden normalerweise nur in Einzelsitzungen statt.

Suchtberatung in Haft gibt es erst seit den 1970er Jahren. Zwar saß auch schon davor ein Großteil der Inhaftierten wegen Drogenmissbrauchs, aber der Duktus der „Freiwilligkeit“, der in der Suchtberatung gängig ist, ließ sich mit den schwierigen Bedingungen im Vollzug nicht verbinden. 

In den 1980er Jahren begann man mit der aufsuchenden Therapie. Schließlich 1994 in Deutschland und 1998 in Österreich passte der Staat die Suchtmittelgesetze an. Im §35 BtmG ist geregelt, dass Personen, die sich wegen Substanzmittel-Missbrauch strafbar gemacht haben, vorzeitig aus der Haft entlassen werden können, um einen Therapieplatz zu bekommen. In Österreich sind in den §27 und §37 SMG ähnliche Maßnahmen beschlossen. Das Gesetz zielt auf „Therapie statt Strafe“ab. Kritiker sagen, dass die Praxis eher nach „Therapie oder Strafe“ abzielt. Das kann auch Annette Wilde bestätigen: „Das Verfahren ist langwierig und wird durch die Staatsanwaltschaft geprüft und dann bewilligt oder abgelehnt.“

 

Teufelskreis Therapie

In Haft verändere sich bei manchen Patienten die Sicht auf die Realität. „Personen, die länger in Haft sind, glauben oftmals, dass sie nach einer gewissen Zeit ohne Konsum draußen auch ohne weitere Probleme nichts mehr konsumieren werden. So entsteht eine verzerrte Realität. Der Unterschied zwischen dem Zwangskontext drinnen und der Welt draußen ist ihnen teilweise nicht bewusst.“ Wieder zurück in den alten Strukturen würden fast alle rückfällig werden.

 „Vor allem bei Männern findet ein Rückfall aufgrund von 'Gruppenzwang' oder Beeinflussung statt. Zum Teil habe ich Klienten, die sich aus dem Heim kennen und im Gefängnis dann wieder treffen“. Sie seien mittlerweile kriminell, der Umgang mit Drogen gehöre dazu. Man brauche einen sehr starken Willen, um mit den alten Freunden weiterhin in Kontakt zu sein und selbst abstinent zu bleiben. "Den hat leider nicht jeder", so die Therapeutin. Als einzige Lösung sieht sie die vollkommene Abgrenzung und Neu-Orientierung.        

"Klienten, die auf Therapie entlassen werden, haben nach der stationären Maßnahme die Möglichkeit, eine Adaptionsphase zu durchlaufen." Fuß fassen, in einer anderen Stadt, an einem anderen Ort. Den Kontakt komplett abrechen. Für viele die einzige Chance, ein neues Leben ohne die Sucht zu versuchen.

 


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