Interview
„Wir haben eine Gemeinschaft der Stehaufmännchen“
Ed Hauswirth, künstlerischer Leiter des "Theater im Bahnhof" in Graz, im Interview über seinen Werdegang, das Theater im Bahnhof und den Show-Charakter der Politik.
„Jeder würd' gern am Burgtheater arbeiten“
Zur Person
Seit der Gründung des Theater im Bahnhof ist Ed Hauswirth als Regisseur, Schauspieler und mittlerweile als künstlerischer Leiter aktiv. Er spricht über seinen persönlichen Werdegang, das Konfliktfeld zwischen Schauspiel und Regie und seine Erfahrungen mit klassischen Theaterbetrieben.
„Es braucht Charaktere“
Demokratie. Die Show
Seit einigen Monaten läuft die Politsatire Demokratie. Die Show auf dem Fernsehsender Puls4. Ursprünglich ist die Show aber eine Produktion des Theater im Bahnhof, wo sie schon seit mehreren Jahren aufgeführt wird. Über Politik zwischen Inszenierung und Stehaufmännchen.
Die Schauspielschulverlierer
Theater im Bahnhof
Das Theater im Bahnhof (TiB) sieht sich als „zeitgenössisches Volkstheater“ und ist eines der größten Off-Theater Österreichs. Was das für Ed Hauswirth bedeutet und wie sich das Theater heutzutage positioniert.
Wie würdest Du das Theater im Bahnhof jemandem erklären, der noch nie etwas vom Theater im Bahnhof gehört hat?
Ed Hauswirth: Kurz gesagt hat das Theater im Bahnhof als Studententheater der Schauspielschulverlierer begonnen. Die Leute, die nicht an der Schauspielschule aufgenommen wurden, haben sich dort gesammelt. In den frühen Neunzigern haben wir uns einen Raum im Bahnhof angeeignet und als freie Gruppe überlebt, bis wir ein eigenes Haus gebaut haben, das zehn Jahre bespielt wurde. In den letzten acht bis zehn Jahren wurde das TiB dann zu einem produzierenden und koproduzierenden freien Theater in Graz, das sich mit dem Leben in Österreich beschäftigt.
Auf der Website vom Theater im Bahnhof steht: „Im Herbst 1995 waren wir orientierungslos und wollten uns auflösen“. Wie sieht das heute mit der Orientierung aus?
Hauswirth: Die Orientierung ist immer wieder zu suchen. Der Punkt mit der Auflösung war damals vielleicht eine etwas dramatische Geste, aber er hat einen emotionalen Kern getroffen. Es ist eine permanente Arbeit, einen guten Grund zu finden, warum man das macht, was man macht. Das versuchen wir als Gruppe zu leisten.
Gab es öfters Überlegungen aufzuhören?
Hauswirth: Es gibt den schönen Satz „Theater ist Krise“ von Heiner Müller. Es gibt immer wieder Krisen, aber mittlerweile machen wir das schon zu lange, als dass wir noch etwas anderes machen könnten – also machen wir weiter.
Das Theater im Bahnhof bezeichnet sich als „zeitgenössisches Volkstheater“ Was heißt das für Dich? Wer ist dieses Volk?
Hauswirth: Als der Begriff für uns definiert worden ist, kam das aus einer Beschäftigung mit „Die sozialpartnerschaftliche Ästhetik“ von Robert Menasse. Damals war ein anderes Österreich-Bild dominant als jetzt. Dieses Österreich-Bild muss man in der Zeit immer wieder neu befragen.
Der Begriff „Volkstheater“ hat für uns einerseits eine ästhetische Bedeutung in einer Tradition, die auf Horvath, Nestroy und Schwab rekurriert, betrifft aber auch gewisse Spielstile. Die andere Sache ist, dass wir uns auch mit zeitgenössischer Theaterarbeit beschäftigen. Immer wieder auch die eigene Rolle in der Zeit überprüfen und sich selbst zu befragen ist da auch ein Thema.
Das Theater im Bahnhof hat teilweise stark politische Projekte, etwa die Inszenierung von Elfriede Jelineks „Burgtheater“ oder eine Aktion zum Bettelverbot mit einem „Bettelautomaten“. Wie wichtig ist Dir diese gesellschaftskritische Rolle beim Theatermachen?
Hauswirth: Wenn sie nicht gezwungen ist und organisch entsteht, ist sie mir sehr wichtig. Ich finde es schwierig, wenn man sagt: Man ist superpolitisch und muss dann immer eine Haltung vor sich hertragen. Es ist entscheidend, dass man immer einen guten persönlichen Anlass hat, um etwas zu machen. Beim Bettelverbot haben wir die Idee gehabt und die Lust, etwas dagegen zu tun.
Die Inszenierung von Jelineks „Burgtheater“ ist in einem anderen Sinn politisch. Es war eigentlich ein „Reenactment“ einer nicht aufgeführten Aufführung. Für uns war die Auseinandersetzung mit dem Mythos dieses Stückes, dass aus gutem Grund oder eigentlich aus nicht gutem Grund nicht gespielt wurde, sehr spannend. Diese Unmöglichkeit ist für uns immer wieder eine Herausforderung und in der Auseinandersetzung mit Österreich kommt man nicht umhin, dass man sich auch mit dem politischen Alltag beschäftigt.
Wie siehst du die Rolle eines Off-Theaters oder des Theater im Bahnhof im Speziellen heutzutage?
Hauswirth: Grundsätzlich ist es ein Angebot für jeden, wie Jack Smith sagt. Es ist ein Angebot außerhalb der Institution. Für mich ist der entscheidende Aspekt die Möglichkeit, schneller und freier zu produzieren als das Institutionen können. Aber wir grenzen uns nicht ab und arbeiten auch mit dem Schauspielhaus zusammen. Das neue Stück „Lehrerzimmer 8020“ hat am neunten März Premiere (Anm.: an der Probebühne des Schauspielhaus Graz). Darin geht es um die Situation einer Schule in Graz 8020 und wie sie das gesellschaftliche Leben dort abbildet. Solche Biotope, die für etwas Größeres stehen, haben uns immer interessiert.
Zwei kurze Fragen zum Schluss: Kann jeder Theater machen? Und wenn ja: Soll jeder Theater machen?
Hauswirth: Prinzipiell ja, würde ich sagen. Das Können ist unterschiedlich, aber etwas kann jeder auf einer Bühne machen und mir wär's recht.
„Es wäre für viele heilsam, mal nach Afrika zu gehen.“
Lagos und Nollywood
Ed Hauswirth hat seit mehreren Reisen und Theaterprojekten einen besonderen Bezug zu Lagos, der Hauptstadt Nigerias und dem dort beheimateten Filmproduktionszentrum Nollywood. Er spricht über die Fragen, die er sich als Mitteleuropäer stellte, in dieser Stadt im Spannungsfeld zwischen Armut und Boomtown.
Interview und Schnitt: Levin Wotke
Kamera: Caroline Mempör
Fotos: Stefan Schmid (Lagos und Nollywood)