Kommentar
Vom roten Apfel, dummen Menschen und Tabak aus Malawi
Nachhaltigkeit, Ökobewusstsein und CO2-Fußabdruck – unsere Gesellschaft ist voll von Menschen, die bereit sind, alles dem Wohl unseres Planeten unterzuordnen. Zumindest behaupten sie das und natürlich nur so lange es ihren Lebensstil nicht zu stark beschneidet. Das Wichtigste dabei ist: Immer schön damit hausieren gehen.
Menschen, die mich kritisieren bevor ich ihren Namen kenne, sind mir von Haus aus suspekt. So geschehen vor einiger Zeit im Innenhof der Universität Wien. Während ich die ersten warmen Sonnenstrahlen des Jahres genieße und einen Apfel esse, setzt sich eine junge Studentin neben mich. „Hast du eine Ahnung woher Äpfel um diese Jahreszeit sind?“, fragt sie mit vorwurfsvollem Blick. Und führt weiter aus: „Du verschwendest wohl keinen Gedanken an deine Umwelt.“ Mein Gedanke ist, dass dieses Mädchen nicht nur außerordentlich dreist, sondern auch ziemlich dumm ist. Mein Apfel stammt aus unserem Keller und ist ein „Pupurroter Cousinot“, also ein Winterapfel, der erst nach einigen Monaten der Lagerung im Keller so richtig gut schmeckt. Ich wende mich meiner Kritikerin zu und will mich, warum auch immer, gerade erklären, mich rechtfertigen. Da sehe ich, dass sie sich gerade eine Zigarette wuzelt. Meine Rechtfertigung bleibt mir samt Apfelschale im Hals stecken.
Partielle Ökologie
Umweltbewusst zu leben und zu konsumieren ist gut und lobenswert. Aber wenn, dann bitte richtig. Einerseits den Sitznachbarn blöd von der Seite anreden, weil seine fruchtige Jause eventuell aus dem Süden Italiens stammt und andererseits sich Tabak ins Papier stopfen, welcher der Verpackung nach zu urteilen aus dem über 10.000 Kilometer entfernten Malawi stammt, funktioniert meiner Meinung nach nicht. Solche Dinge widerfahren mir in letzter Zeit öfter. Man wird in der Küche der eigenen WG von Bekannten verbal angegriffen, weil man ein Steak im Ofen zubereitet. Wörter wie Massentierhaltung und CO2-Ausstoß fallen, ohne zu wissen, ob das Stück Fleisch aus dem Kühlregal eines Diskonters oder vom Bio-Bauernhof stammt. Diese Personen lehnen angeekelt am Kühlschrank und nehmen einen Schluck aus ihrer Plastikflasche, die mit stillem französischem Mineralwasser gefüllt ist. Während aus dem Hahn ebenfalls trinkbares Wasser kommt, welches allerdings den Vorteil hat, dass es nicht in PET-Flaschen abgefüllt ist und auch nicht durch halb Europa transportiert werden muss.
Lippenbekenntnisse leicht gemacht
So lässt sich natürlich extrem einfach ein ökologischer und nachhaltiger Lebensstil führen und vor allem auch nach außen präsentieren. Schnell wird ein „ATOMKRAFT? NEIN DANKE“- Aufnäher am Rucksack angebracht und gleichzeitig Strom von einem Anbieter bezogen, der bis zu acht Prozent Atomstrom in seinem Strom-Mix hat. Man fährt mit dem Fahrrad zur Arbeit, um die Umwelt zu schonen und fliegt im Februar mal kurz nach Thailand, um zu surfen. Die gesunden Dinkelbrötchen holt man sich im Reformhaus, die kommen dort direkt vom Bauern aus dem Waldviertel, aber das Salz kauft man dann doch in der Feinkostabteilung, weil es aus dem Toten Meer stammt und besser zum Kurkuma aus Südasien passt.
„Öko“ sein ist hip und cool, das habe ich mittlerweile auch verstanden. Nur dort, wo es zu anstrengend wird, man nicht von Medien auf die Probleme aufmerksam gemacht wird und selbst nachdenken müsste oder in Situationen, in denen niemand anders davon Notiz nimmt, dort ist es meist nicht weit her mit der Ökologie. Das wäre alles auch gar nicht schlimm, nicht jeder Mensch ist für ein Leben in Second-Hand-Kleidung oder zum Dumpstern gemacht. Aber warum gerade diese Menschen meinen, sie müssten mit erhobenem Zeigefinger andere belehren, ist mir ein Rätsel. Also raucht euren afrikanischen Tabak und trinkt euren Fair-Trade-Kaffe, aber lasst mich und meine Äpfel in Ruhe.
- (c) Harald Triebnig
Dieser Artikel wurde im April 2013 auf paroli erstveröffentlicht.