Analyse

Das Präsidialproblem

Die Ursachen für Zyperns aktuelle Krise sind klar: Sein wuchernder Bankensektor, die hohe Arbeitslosigkeit, der Mangel an Industriebetrieben und der aufgeblähteste Beamtenapparat der EU haben es fast in den Bankrott getrieben. Wie aber konnte die Rettung des Landes politisch so schief laufen? Eine Systemanalyse.


Seit dem griechischen Putschversuch und der Landung türkischer Truppen in Nordzypern 1974 ist die Inselrepublik halbseitig gelähmt. Rund ein Drittel des Staatsgebietes wird von der Türkischen Republik Nordzypern beansprucht, die lediglich von ihrem Hegemon, der Türkei anerkannt wird. Doch schon mit dem Boykott des gemeinsamen Staates durch die türkischen Zyprer seit 1963 sind zahlreiche Bestimmungen der Verfassung undurchführbar geworden. Sowohl die Sitze der türkischen Abgeordneten im Einkammerparlament, dem Repräsentantenhaus, als auch der Posten des Vizepräsidenten bleiben seitdem vakant. Im politischen System des Landes stärkt das vor allem einen Machtfaktor: den Präsidenten.


Fehlende Mehrheiten

Zypern ist die einzige Präsidialrepublik der Europäischen Union. Das Amt eines Ministerpräsidenten, das selbst das präsidial geprägte Frankreich kennt, existiert nicht. Ohne Mitwirkung der türkischen Bevölkerungsgruppe sind auch die in der Verfassung vorgesehenen Agenden des Vizepräsidenten obsolet. Der zyprische Präsident wird direkt vom Volk gewählt. Er ernennt und führt die Regierung selbst. Gleichzeitig ist diese nicht vom Vertrauen des Parlamentes abhängig. Eine Kontrolle der Exekutive findet lediglich über das Druckmittel der Haushaltsgesetzgebung statt. Das stärkt die Stellung des Staatsoberhauptes in der Exekutive, bringt aber auch seine Tücken mit sich. Während in Frankreich die Wahlen zur Nationalversammlung mittlerweile jeweils nach den Präsidentschaftswahlen stattfinden, um die sogenannte cohabitation zu vermeiden, sind die Wahlen von Staatsoberhaupt und Parlament in Zypern nicht gekoppelt. Außerdem verfügt Frankreich über ein Mehrheitswahlrecht. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein siegreicher Bewerber um die Präsidentschaft der Republik auch eine absolute Mehrheit in der Nationalversammlung erhält, ist dort groß. Das zyprische Wahlrecht ist hingegen extrem verhältnismäßig orientiert. Wer genug Stimmen erhält, um einen der 56 Sitze zu erlangen, bekommt diesen auch. Die kleinste Partei im Repräsentantenhaus konnte bei den Wahlen 2011 mit 2,21 Prozent einziehen. Derzeit sind sechs politische Gruppierungen im Parlament vertreten. Die konservative Partei des 2013 neu gewählten Präsidenten Nikos Anastasiades DISY hält jedoch nur 20 Sitze. Um regieren zu können, benötigt sie daher die Stimmen ihrer Koalitionspartner Diko und Evroko. Dass ihr diese aber keineswegs sicher sind, hat die aktuelle Krise gezeigt.


Vor- und Nachteile parlamentarischer Systeme

Die starke Verflechtung von Parlamentsmehrheit und Regierung wird in mehrheitlich parlamentarischen Systemen wie Österreich oft kritisiert. Da die Regierung die Mehrheit der Abgeordneten braucht, um im Amt zu bleiben, bindet sie diese möglichst fest an sich. Das Ergebnis wird manchmal zynisch als Durchwinkparlament bezeichnet. Der Nationalrat verkommt zur reinen Abstimmungsmaschine. Die Mehrheit der Gesetzesbeschlüsse geht auf Regierungsvorlagen zurück. Dafür weiß die Regierung das Parlament hinter sich, wenn sie nach Brüssel fährt, um dort oft schmerzvolle Kompromisse zu schließen.


Zyperns Problem mit dem Anderssein

Nicht so in Zypern: Weder der Präsident noch seine Regierung sind von der Mehrheit im Repräsentantenhaus direkt abhängig. Allfällige Koalitionspartner können jederzeit abspringen ohne Neuwahlen befürchten zu müssen. Gerade diese Konstellation wurde dem konservativen Staatsoberhaupt Anastasiades zum Verhängnis. Er war es gewesen, der in den Verhandlungen in Brüssel die Zwangsabgabe auch für Kleinsparer eingefordert hatte, während ihm zuhause in Nikosia dann die linke Parlamentsmehrheit samt Koalitionspartner die Gefolgschaft versagte. 

Der ganze Koordinationsapparat der EU ist auf parlamentarische Systeme ausgelegt, daran ändern auch kosmetische Aktionen zur Beteiligung der nationalen Parlamente im Rahmen des Vertrages von Lissabon nichts. Was in Brüssel ausgehandelt wird, muss zuhause halten. Und wenn nicht, muss zumindest die verantwortliche Regierung stürzen. In Zypern passiert nichts davon. Die USA sind außenpolitisch immer wieder mit ähnlichen Problemen konfrontiert, wenn der Kongress bereits ausverhandelten Abkommen seine Zustimmung verweigert. Innerhalb der Europäischen Union bildet der Sonderfall Zypern einen vergleichbaren Unsicherheitsfaktor.


Nicht die Ursache, aber der Auslöser

Sicherlich ist die zyprische Verfassungsrealität nicht hauptverantwortlich für die derzeitige Krise. Die höchste Zahl an Beamten pro Kopf in der EU und eine Arbeitslosigkeit von 15 Prozent trugen neben den maroden Banken zum Beinahekollaps des Landes bei. Aber Nikos Anastasiades fuhr nach Brüssel, um sein Land zu retten, verhandelte ein Ergebnis, kam nach Hause und scheiterte. So schlecht der Vorschlag der sogenannten Troika aus EU, Währungsfond und EZB auch gewesen sein mag, auf die zyprische Politik wirft die aus systemischen Gründen fehlende Handschlagqualität ihrer Akteure ein katastrophales Licht. Der fehlende Regierungsrückhalt im Parlament war zwar nicht die Ursache, wäre aber beinahe zum Auslöser des endgültigen Staatsbankrotts geworden. Die Zukunft wird zeigen, ob mit einem Partner, der seine Zusagen nicht einhalten kann, auf Dauer eine Union zu machen sein wird.


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