Analyse
Das Zukunftsproblem
1,4 Kinder bekommen Frauen in Deutschland und Österreich im Durchschnitt. Die Bevölkerung schrumpft. Entscheidet man sich für Nachwuchs und Karriere, verspricht der Staat mit Kindertagesstätten zu helfen. Tut er das? Besuch in Wien und München.
„Kindergarten St. Nikolaus feiert 50-jähriges Jubiläum“ oder „Schlange in Kindergarten gefunden“ vs. „Muss ihr Kind auch draußen bleiben ?“. Schon die einfache Google News Recherche bringt das Thema auf den Punkt. In Wien ist die Kindergartenwelt noch in Ordnung. In München herrscht Chaos. Die Problematik in der bayerischen Metropole ist offentsichlich: zu wenig Plätze werden von der Stadt und ihren freien Trägern in Aussicht gestellt.
Wie kann es sein, dass eine alleinerziehende Mutter mit einem knapp 3-jährigen Sohn von 12 Kindergärten nur Absagen erhält, die Kleinen in Wien hingegen über Blindschleichen im Kindergarten staunen?
Ganz heißes Thema
Um die Problematik zu analysieren, muss man differenzieren: einen Krippenplatz, also eine Tagesversorgung für die 0- 3 Jährigen gibt es noch nicht für jedes Baby. In Deutschland besteht darauf Rechtsanspruch ab August 2013. Der Ausbau der Plätze geht schleppend voran. 11,9 Millarden Euro investiert der Staat in die Zukunft der Kinderbetreuung. 750.000 Plätze soll es geben, das entspricht einem Versorgungsgrad von 35 Prozent. Noch im Mai 2012 hat die deutsche Familienministerin Kristina Schröder einen Zehn-Punkte Plan zur Schaffung von Krippenplätzen bis August 2013 vorgelegt. Darin geht es vor allem um den Ausbau personeller Ressourcen. Zwei Monate vor Beginn des Rechtsanspruchs fehlen bundesweit nach Schätzungen noch immer über 100.000 Plätze.
In München gibt es derzeit 15.600 Plätze, das heißt, dass etwas mehr als ein Drittel der Kleinkinder einen Krippenplatz bekommt. Was heißt das für die restlichen der über 30.000 Kinder und ihre Mütter und Väter? Sie müssen auf teure, private Krippen ausweichen. Wer sich das nicht leisten kann, muss zuhause bleiben oder kann klagen. Experten sehen gute Chancen, dass der Staat Schadenersatz leisten muss. Zum Beispiel für das entgangene Einkommen der Eltern. Aber einen Krippenplatz bekommen sie dadurch auch nicht.
Besserer Ansatz?
In Wien funktioniert der gemeinsame Ansatz zwischen privaten und städtischen Versorgungsmöglichkeiten. Sabine Cizek vom zuständigen Magistrat sagt, dass private Einrichtungen mit öffentlichen Geldern subventioniert und besonders bei der Anschlussfinanzierung unterstützt werden. Das heißt, die Stadt Wien hilft den Betreibern bei der Infrastruktur. "In Wien gibt es viele Gemeindebauten, die im Eigentum der Stadt sind. Da kann man durch Renovierung und Ausweitung viel tun", so Cizek. In München besteht diese Möglichkeit nicht. Aber nicht nur die teuren Immobilienpreise verhindern den Ausbau. In beiden Städten herrschen hohe Auflagen: es müssen mindestens 3,3 Quadrameter pro Kind zur Verfügung stehen sowie eine bespielbare Fläche.
Insgesamt gibt es in Wien etwa 91.000 Plätze für die 0- 6 Jährigen. In Österreich nimmt Wien eine Ausnahmerolle ein. Der Versorgungsgrad liegt hier bei 95 Prozent und lässt sich mit einer Vollbeschäftigung gut vereinbaren. Im Durchschnitt kann in Österreich aber nur jedes dritte Kind (35,8 Prozent) mit einer Betreuung rechnen. Besonders deutlich sind die Zahlen bei den Kindergartenplätzen. Wien hat hier einen Versorgungsgrad von über 100 Prozent. In München sind es nur 87 Prozent. Obwohl in Deutschland ein Rechtsanspruch auf einen Platz besteht. In Österreich nicht.
Kindergartenmisere
- Versorgungsproblem? Fängt schon mit der Ausstattung an (c) Undp
- So bunt soll der Kindergartenalltag sein (c) Kjarett
- Leider oft triste Realität (c) Kjarett
- Kein Platz im Kindergarten? Ein Problem der Neuzeit! (c) Biblioarchives
- Google Suche zeigt das Problem Quelle: Google News
"Es ist zum Verzweifeln"
Es geht darum, die Schwierigkeiten aufzuzeigen, denen Eltern begegnen, wenn sie ihre Kinder in Kindergärten unterbringen wollen, um nach der Geburt wieder arbeiten zu gehen. Am wichtigsten ist es aber für die Kleinen. Eine frühkindliche Erziehung prägt das ganze Leben. Eine junge Mutter aus München erzählt:
Danka (26 )und Niklas (im August 3 Jahre alt)
Das erste Mal haben wir uns für einen städtischen Krippenplatz beworben, da war Niklas 9 oder 10 Monate alt. Nach dem Jahr Mutterschutz wollte ich wieder als Zahnarzthelferin arbeiten gehen. Ich bin alleinerziehend, also brauchte ich dringend einen Platz. Die Ernüchterung kam schnell: In den Krippen wurde mir sofort klar gemacht, er wäre viel zu spät, ich hätte ihn schon anmelden müssen, als er noch gar nicht auf der Welt war. Also hatte ich dort keine Chance einen Platz zu bekommen.
Für einen privaten Krippenplatz brauchte ich einen Zuschuss. Den habe ich beim Sozialreferat beantragt. Der Bescheid würde sechs Wochen dauern, so meine Sachbearbeiterin. Zur selben Zeit habe ich einen Platz für Niklas in einer Krippe gefunden. Wir haben uns so gefreut. Ich brauchte nur noch die Bestätigung vom Sozialreferat. Die ließ aber auf sich warten. Von meiner Sachbearbeiterin kam völliges Unverständnis. Erst sagte sie, ich solle sie nicht unter Druck setzen, ich sei ja nicht die einzige Mutter. Dann fragte sie, ob ich denn keine Mutter hätte, die sich in der Zeit um den Kleinen kümmert? Wie frustrierend war diese Aussage! Ich frage mich, wie die sich das vorstellen. Meine Mutter ist voll berufstätig und arbeitet sechs Tage die Woche. Sie ist sehr gerne Oma, aber wie soll das gehen?
Der Brief kam. Nach acht Wochen. Der Platz in der Krippe war da schon lange vergeben.
Dieses Jahr Kindergartenbewerbung. Zwölf Anmeldungen. In jedem Kindergarten haben wir uns vorgestellt. Niklas Vater war auch öfters dabei. Manche haben sich richtig Zeit für uns genommen und wir haben uns ehrlich Hoffung gemacht. Doch dann sind zwölf Absagen gekommen. Es ist so deprimierend. Ich kann gar keine Pläne machen und mir überhaupt nicht vorstellen, wie unsere Zukunft wird. Es ist zum Verzweifeln.
Im September wird Niklas in den Kindergarten gehen. Es ist ein privater Kindergarten für mehrere Hundert Euro im Monat. Das Unternehmen, in dem Niklas' Vater arbeitet, übernimmt einen Großteil der Kosten.
Der Staat versagt
Daran wird deutlich, dass nicht der Staat die Versorgerrolle erfüllt, sondern die freie Wirtschaft. Die Politik investiert in die Bildung der Gesellschaft, denn eine gute Ausbildung trägt positiv zur Entwicklung der Gesellschaft bei. Genauso trägt eine gute Versorgung des Nachwuchses zu einer starken Wirtschaftskraft bei. Das klingt auf dem Papier gut und wird auch immer wieder beteuert, aber bei der Umsetzung fehlt es noch gewaltig.
Auch in Wien ist die Kindergartenwelt nicht nur kunterbunt. "Mit den Zahlen bin ich immer vorsichtig. Die sagen ja nicht, dass wirklich jedes Kind den bevorzugten Platz bekommt.", so Cizek. Und auch bei den Krippenplätzen ist die Rundumversorgung nicht gegeben. "Es gibt hier sehr viel mehr Anmeldungen als Plätze".
Quellen:
(c) Startseite: Pinreader