Paroli

(Naive) Internetrevolutionäre

Die jungen Erwachsenen werden unter anderem "Generation-Internet" genannt. Sie sind schließlich mit den unendlichen Weiten des Internets aufgewachsen, wissen demnach wie es funktioniert und wie man sich darin bewegt. Wir wollten wissen, wie ihre Verhaltensweisen im World Wide Web aussehen.


Internet ist nur ein Hype.
(Bill Gates, Microsoft Corporation, 1995)

Ich denke, es gibt weltweit einen Markt für vielleicht fünf Computer.
(Thomas John Watson, Vorsitzender von IBM, 1943)


"Digital Natives" - Die digitalen Eingeborenen

Sie gehören zur "Generation Y". Sie, das sind jene Menschen, die um das Jahr 2000 zu den Teenagern zählten. Deswegen werden sie auch "Millenials" – die „Jahrtausender“ – genannt. Sie gelten als gut ausgebildet, zumeist mit Fachhochschul- oder Universitätsabschluss. Sie werden als optimistisch und selbstbewusst beschrieben, haben kein Vertrauen gegenüber Regierungen und greifen durch passiven Widerstand aktiv in das politische Geschehen ein. Ein Beispiel dafür ist die uns allseits bekannte Bewegung "Occupy Wallstreet". Doch die nachrückende Generation zeichnet sich vor allem durch ihre technologieaffine Lebensweise aus, da sie mit dem Internet und mobiler Kommunikation praktisch aufgewachsen ist. 

Die Internet-Nutzungsfrequenz der Jugendlichen und jungen Erwachsenen ist gegenüber der älteren Generation deutlich höher und die verschiedenen Facetten der Anwendung bunter. Digitale Technologien gehören zum Alltag der Jugend heute einfach dazu. Der Medienpädagogische Forschungsverband Südwest (mpfs) fand im Zuge der KIM-Studie 2012 heraus, dass 20 Prozent der 6- bis 7- Jährigen bereits das Internet nutzen, 50 Prozent sind es bei den 8- bis 9-Jährigen. In der Altersgruppe der 10- bis 11-Jährigen tummeln sich schon 75 Prozent im World Wide Web, unter den 12- bis 13-Jährigen, die schon an der Schwelle zur Jugend stehen, sind es beachtliche 93 Prozent. 

Die Shell-Studie 2010 ergab, dass 96 Prozent aller Jugendlichen im Internet sind (Shell Jugendstudie 2010, S. 102), anteilig sind 90 Prozent mehrmals die Woche online; und die durchschnittliche Nutzungsdauer liegt bei 138 Minuten. 

Deswegen nennt man die nachrückende Generation auch „Digital Natives“ – "digitale Eingeborene". „You are terrified of your own children, since they are natives in a world where you will always be immigrants“, so John Barry Barlow in der 1996 veröffentlichten Unabhängigkeitserklärung des Cyberspace. Dadurch ergab sich ein Antonym für ältere Generationen, die mit dem Internet, wenn überhaupt, erst im Erwachsenenalter in Berührung gekommen sind. Sie werden als „Digital Immigrants“ - "digitale Immigranten" - bezeichnet. Doch diese strikte Einteilung führte zu einem Diskurs in der Wissenschaft. 

John Palfrey, Schulleiter der Phillips Academy in Andover, schrieb am 28. Oktober 2007 in seinem Blog, dass nicht alle Menschen, die einen technologieaffinen Lebenstil führen, zwingend jung sind: "Not all people born during a certain period of history (say, after the advent of BBSes) are Digital Natives. Not everyone born today lives a life that is digital in every, or indeed any, way. (...) Not all of the people who have the character traits of Digital Natives are young. The term “Digital Immigrant” doesn’t describe those people either — people like Urs and me, like our colleagues at the Berkman Center who are over a certain age — who live digital lives in as many ways, if not more, than many Digital Natives. Many of us have been here as the whole digital age has come about, and many of our colleagues have participated in making it happen in lots and lots of crucial ways." 

Eine Klassifikation nach Alter entsprach einst nach Palfrey nicht der Realität, da sich das Nutzungsverhalten der nachrückenden Generation von jenem der älteren kaum unterschied und sich dadurch keine neue Bezeichnung oder Generation herausbildete. Doch das ist Vergangenheit. 


Studiert man das Dossier (2013) des Instituts für Jugendkulturforschung, erkennt man schnell, dass heute sogar ein massiver Unterschied der Internetnutzung im Generationenvergleich vorliegt. Bis auf die Mail-Kommunikation und Recherche-Zwecke, gibt es kaum noch Berührungspunkte der nachrückenden und der älteren Generation. 

84,8 Prozent der 14- bis 19-Jährigen haben in den letzten vier Wochen im Internet Musik gehört oder heruntergeladen. In der Altersgruppe der 40- bis 49-Jährigen betrifft das nur 23,4 Prozent. 

80,6 Prozent der Jugendlichen gaben an, dass sie in den letzten vier Wochen gechattet und sich in Foren/Newsgroups getummelt haben, bei den 40- bis 49-Jährigen sind es nur 19,9 Prozent. 

65,7 Prozent der 14- bis 19-Jährigen nutzen Videoportale und/oder TV-Mediatheken, lediglich 22,4 Prozent der 40- bis 49-Jährigen taten dies ebenso. 

Online-Spiele, Software Download und ungezieltes Suchen wird von den Jugendlichen ebenso stärker betrieben, als von den 40- bis 49-Jährigen. Diese bevorzugen Online-Shopping, Online-Banking, Online-Reisebuchungen, und auch aktuelle Nachrichten. 

Zu einem interessanten Ergebniss gelangte eine Online-Social-Network-Studie im Frühjahr 2013, die besagt, dass die NutzerInnen von Social Media immer älter werden und bei Facebook das Medianalter etwa bei 39 Jahren liege. Nur noch 50 Prozent der Facebook-User befinden sich unter dieser Altersgrenze. So gesehen entspricht die Bezeichnung Facebooks als "Jungmedium" nicht mehr der Realität. 


Tatsache ist, Computerspiele, E-Mails, Internet, Mobiltelefone und Instant Messanging sind Bestandteile des Lebens der "Generation Y", die sehr früh mit diesen Dingen sozialisiert wurde. Es führte dazu, dass die Jungen heute anders denken, und Informationen anders verarbeiten, als es vielleicht früher der Fall war. Heute bevorzugen sie die Visualisierung von Informationen, in Form von Grafiken und funktionieren am besten, wenn sie vernetzt sind. Sie sind es gewohnt, Informationen schnell zu empfangen und parallel zu arbeiten. 

Sie interessieren sich für technologievermittelte Kommunikation in Echtzeit und verwenden diese Angebote heute überwiegend mobil – also an ständig wechselnden Orten. 2012 nutzten immerhin beachtliche 49 Prozent der Jugendlichen das Internet über ihr Handy/Smartphone – 2010 waren es lediglich 13 Prozent. (Medienpädagogischer Forschungsverband Südwest: JIM-Studie 2012: Jugend, Information, (Multi-) Media. Basisuntersuchung zum Medienumgang 12- bis 19-Jähriger, Stuttgart 2012, S. 32)

In den 1980er Jahren waren noch knapp sechs von zehn Jugendlichen skeptisch, was die Computertechnologie betraf (Shell Jugendstudie, „Jugend 81’. Lebensentwürfe, Alltagskulturen, Zukunftsbilder), weil sie dachten, durch den Computer in Zukunft vollständig überwacht zu werden. Diese sind heute erwachsen und integrieren Computer, Handy und Internet ganz selbstverständlich in ihren Alltag. Sie bezeichnen diese Kommunikationstechnologien zwar als „Zeitfresser“, aber ohne sie leben, können sie auch nicht mehr. 


Die Bühne der Online-Kulturen

Plattformen wie Facebook, Twitter, Youtube und Co. haben es geschafft - die Welt ist so vernetzt wie noch nie zuvor, die Vernetzungsdichte sowie die Spontanaktivität ("Gefällt mir-Angabe", "Retweet" ... )  wurden jedoch drastisch erhöht. Social Media sind nichts anderes als ständige und regelmäßige Bewegungen. Dadurch entsteht eine gravierende Veränderung der Machtverhältnisse. Während das Internet früher nur dazu diente, um Informationen zu beschaffen, haben wir heute einen immer stärker werdenden Konsumenten, Mitarbeiter und Bürger. Soziale Netzwerke werden genutzt, um Viralität zu erzeugen. 

Das sogenannte Web 2.0 ermöglicht es auch Leuten, die über kein großes IT-Wissen verfügen, online aktiv zu sein, eigene Bilder und Texte zu veröffentlichen und über Community-Plattformen mit anderen NutzerInnen zu interagieren sowie bestehende Kontakte zu pflegen oder neue zu knüpfen. 

Unter den Jugendlichen ist vor allem die Plattform Facebook omnipräsent. Nicht nur die Anzahl der jugendlichen Nutzer ist expansiv gewachsen, sondern auch die Größe der Freundeskreise.

Am häufigsten wird Facebook von den Jugendlichen verwendet, um Nachrichten an andere Personen zu senden oder innerhalb einer Community zu chatten. Die Aktualisierung der Statusmeldung, das Posten von Bildern/Videos sowie das Suchen nach neuen Kontakten gehört, gemessen an der Nutzungsfrequenz, zu den weniger bedeutsamen Funktionen der Plattform. Soziale Medien dienen in erster Linie dazu, um zwischenmenschliche Interaktionen im virtuellen Raum zu verlängern. 

Nutzer machen in sozialen Netzwerken überwiegend positive Erfahrungen. Sie pflegen Freundschaften (73 Prozent), erhalten Informationen zu Veranstaltungen (50 Prozent) und lernen neue Freunde kennen (31 Prozent). Vereinzelt verbindet man Social Media auch mit negativen Erfahrungen, wie etwa mit unangenehmen Kontaktanfragen von Fremden (26 Prozent) oder Belästigungen durch Netzwerkmitglieder (10 Prozent).  (BITKOM-Studie Soziale Netzwerke, 2011)

Das Web 2.0 bietet Jugendlichen eine Bühne, die das Bedürfnis nach Kommunikation und Selbstpräsentation stillt. Die "Digital Natives" erzählen in sozialen Medien aus ihrem Leben, dokumentieren Ereignisse aus ihrem Alltag, in Form von kurzen Texten, Bildern sowie Videos, und bringen online zu zahlreichen Themen ihre Meinung ein, meist ohne lange und reflektierte Debatten zu führen. Sie üben sich bereits sehr früh in zwei Fertigkeiten, die im späteren Berufsleben von großer Wichtigkeit sind: nämlich sich selbst gut darzustellen und sich mit den richtigen Leuten zu vernetzen. 

Demnach muss der/die Nutzer/in zeigen wer er/sie ist, und als was er/sie gesehen werden möchte. "Es geht um Ausstellen und Aufführen sowie Zuschauen, sich inspirieren Lassen, Beobachten, aber auch Kommentieren, was andere tun", schreibt Dr. Beate Großegger 

Die BITKOM-Studie 2011 zu sozialen Netzwerken zeigt, dass 76 Prozent der Internetnutzer in mindestens einer Online-Community angemeldet sind; 73 Prozent sind aktive Nutzer. Bei jüngeren Personen liegt die Mitgliedschaft bei 96 Prozent und deren aktive Nutzung bei 94 Prozent; zudem sind Frauen (76 Prozent) in Online-Netzwerken etwas aktiver als Männer (70 Prozent).


"Das Internet macht dumm"

Den Jugendlichen wird heute vorgeworfen, an "digitaler Demenz" zu leiden. Anders gesagt: Das Internet macht dumm. Es existiert ein Überfluss an Informationen, den die junge Gesellschaft schlicht übernimmt, kommuniziert und zu keinem Zeitpunkt hinterfragt. Daraus resultiere Oberflächlichkeit und fehlende Orientierung, so heißt es. 

Wozu etwas lernen, wenn es ohnehin im Internet steht? Wozu sich mit Geographie beschäftigen, wenn das Navigationsgerät einem den Weg, noch dazu den kürzesten, bereitstellt?

Wird das Wissen der Menschen durch das Internet in Zukunft geringer? Wollen wir heute noch etwas wissen? Müssen wir überhaupt noch etwas wissen?

Die "Millennials" wollen informiert sein, wollen etwas wissen, aber ohne Nachrichten exzessiv verfolgen zu müssen. Das heißt, genug zu erfahren, um es zu verstehen, um sich eine Meinung zu bilden, und gegebenenfalls darüber reden zu können; oder zumindest zu verstehen, was andere Personen darüber reden. Unter "gut informiert sein" verstehen sie, "dass sie wissen, was ihre Freunde im Netz gut finden"(Süddeutsche Zeitung).

Unaufhörlich sinkt die Zahl der Menschen, die noch bereit sind, mehr zu lesen, als ein paar wenige Zeilen, die sie vom Computer gewöhnt sind - "sich also keine vier, sechs, acht Minuten auf die Lektüre eines Textes einzulassen, wie brilliant er auch geschrieben wäre", schreiben Wolf Schneider und Paul-Josef Raue in ihrem Werk "Das neue Handbuch des Journalismus und des Online-Journalismus".

Ähnlich rasant steigt die Zahl der jungen Leute, "die gar keine umfassenden, sondern nur sie betreffende Informationen suchen", erläutert die Frankfurter Rundschau. Davon wünschen sich nur noch 15 Prozent aktuelle Rundum-Informationen (Allensbach 2008). 

"If the news is that important, it will find me", übersetzt: Wenn die Nachricht so wichtig ist, wird sie mich finden. So lautete eine Aussage eines Studenten gegenüber einer Marktforscherin einer Focus Group, die im Gespräch mit der New York Times jene verlautbarte. Während man früher effektiv nach Nachrichten suchen und damit aktiv werden musste (Tageszeitung abonnieren oder kaufen und lesen, Radio- und/oder Fernsehnachrichten einschalten), kommt die Nachricht heute durch soziale Netzwerke sprichwörtlich zu uns. Wenn etwas Wichtiges passiert, erfahren wir es. 

In Deutschland erreicht die Zeitung nur noch 70 Prozent der Erwachsenen und nicht einmal 40 Prozent der 14- bis 29-Jährigen; vor 20 Jahren waren es noch beachtliche 66 Prozent. Von den Jungen informieren sich 73 Prozent primär via Internet - dies aber unvollkommen. "In einer Art Slalom zappt die Klientel um alles herum, was nach Information riecht", sagt ZDF-Chefredakteur Peter Frey. Mathias Müller von Blumencron vom Spiegel: "Heute lassen sich viele Leute eher bei Facebook und Twitter durch ihre Freunde informieren als über klassische und redaktionelle Seiten. Das ist unsere Konkurrenz."

Daher behaupten böse Zungen, dass dieser technologieaffine Lebensstil die Jugend bequem werden und damit verblöden lässt.


Ein Kritiker des technologieaffinen Lebensstils ist Manfred Spitzer, der den Bestseller "Digitale Demenz - Wie wir unsere Kinder um den Verstand bringen" publiziert und sich mit den Auswirkungen der neuen Medien auf das menschliche Gehirn beschäftigt hat. "Wir verlernen zu denken, wir wissen nicht, wir googeln, von der Wiege bis zum Grab, das Hirn wird nicht gefordert und verkümmert, die Gesellschaft verblödet",  so die Grundthese von Manfred Spitzer's Werk in der FAZ

Vor allem an der sogenannten Internetgemeinde, den Gamern, übt der Buchautor Kritik. Es sei ein Paradebeispiel für "digitale Demenz": „Ein Teufelskreis aus Kontrollverlust, fortschreitendem geistigem und körperlichem Verfall, sozialem Abstieg, Vereinsamung, Stress und Depression setzt ein; er schränkt die Lebensqualität ein und führt zu einem um einige Jahre früheren Tod.“ Aus diesem Grund empfiehlt Spitzer: “Ernähren Sie sich gesund! Täglich eine halbe Stunde Bewegung. Helfen Sie anderen. Meiden Sie die digitalen Medien.“ Denn: "Wir klicken uns das Gehirn weg.“ 

"(...) Junge Erwachsene konzentrieren sich immer weniger, merken sich nichts mehr, haben Probleme mit dem Lesen von Texten, sind müde und motivationslos und stumpfen emotional ab (...)", erläutert Spitzer in einem Interview mit pressetext.com. "(...) Als Folge werden wir oberflächlicher, gehen Dingen weniger auf den Grund, zudem wuchern Aufmerksamkeitsstörungen und Vereinsamung, da direkte Sozialkontakte durch Social Media abnehmen. Längst keine Ausnahme mehr sind Pärchen im Restaurant, bei dem jeder per Smartphone twittert, wie toll doch das Rendevouz ist. Miteinander kommunizieren die beiden jedoch kaum - das Rendevouz findet gar nicht statt."

Vor allem um Kinder macht sich Spitzer Sorgen, die oft schon früh - zu früh - mit digitalen Medien in Berührung kommen: "(...) Ein Kind sollte seine Umwelt nicht zuerst über Tablet und Smartphone ansehen, sondern sie selbst begreifen, fühlen, erleben und handeln. Die Motorik nimmt ein Drittel des Gehirnvolumens ein. Bewegt man nur die Maus, so wird dieses Drittel zum Lernen und später zum Denken nicht benutzt." 

Sein Buch "wird in den Augen vieler Menschen ein unbequemes Buch sein, ein sehr unbequemes", so der Autor über sein Werk. Spitzer sollte Recht behalten. Es folgte Kritik. Zeit-Redakteur Werner Bartens stempelt den Textkörper als "einseitig und populistisch" ab: "Das ist keine Aufklärung oder gar Popularisierung von Wissenschaft, sondern Verdummung." Spitzer arbeitet in seinem Werk mit Hypothesen, die er darin aufstellt, aber nicht der Realität entsprechen: "Weil viele Eltern anlässlich der Gier ihrer Kinder nach iPad, Wii oder Laptop hilflos sind, hat Spitzer immensen Erfolg. (...) Diese Bedürfnisse bedient Spitzer zuverlässig und immer mit dem Impuls des Weltenretters. Nur argumentiert er dabei so bizarr, oberflächlich und mit verzerrten Bezügen, dass es selbst den glühendsten Anhängern seiner Ideen schwerfallen sollte, ihm in diesem Buch zu folgen", so Werner Bartens. Spitzer "sieht in jedem digitalen Ding das Symptom eines Syndroms", schreibt Michael Hanfeld in der FAZ.

„’Jugend und Medien’ – ein ewig aktuelles Thema“, klagt Dr. Beate Großegger in ihrem Dossier (2011) für das Institut für Jugendkulturforschung.  „Die einen blicken verklärt auf die jugendlichen TechnologienutzerInnen und sehen sie als Innovatorensegment. Die anderen verweisen kulturpessimistisch auf den betont unterhaltungsorientierten Medienkonsum Jugendlicher und warnen davor, dass die jugendliche Technologienutzung die traditionelle Schreib-Lese-Kultur gefährde. Was aus Sicht der Jugendforschung irritiert, ist, dass die öffentliche Diskussion großteils von Extrempositionen geprägt wird und entweder unkritischen Technologieoptimismus oder aber eine kulturapokalyptische Grundhaltung in die Debatte um die ‚Kinder der Mediengesellschaft’ einbringt.“


"Public is the new private"

Welche Informationen sind für die Jugendlichen privater Natur und welche für die Außenwelt bestimmt? Erkennt man durch die Nutzung des Internets hier überhaupt noch einen Unterschied? Auf Facebook beispielsweise veränderte sich die Verfügbarkeit privater Informationen stark. Während 2005 etwa persönliche Informationen wie Name, Profilbild, Geschlecht sowie persönliche Netzwerke für etwa fünf Millionen Nutzer sichtbar waren, sind es im April 2010 1,8 Milliarden Menschen, die auf Name, Geschlecht, Profilbild, Bilder, Pinnwand-Einträge, persönliche Netzwerke, Likes, Freunde, und andere Informationen des Profils zugreifen konnten. 

Das fand die Webseite mattmckeon.com heraus, dessen Herausgeber sich mit der Privatsphäre auf Facebook beschäftigen. Das Unternehmen hat seine Privatsphäre-Einstellungen in seiner Bestehenszeit oftmals verändert und seine Nutzer für die Öffentlichkeit damit transparenter gemacht. Unsere Persönlichkeit liegt der Welt somit weitgehend offen.

Zu den in Profilen meist angegebenen Daten zählen der Vor- und Nachname (77 Prozent), das Alter (76 Prozent), ein Profilfoto (60 Prozent) und der Beziehungsstatus (57 Prozent); jeder vierte Nutzer stellt Party- und Urlaubsfotos in ein Netzwerk. Ein Viertel der Personen gibt an, dass diese schon einmal bewusst falsche Angaben gemacht haben. (BITKOM-Studie Soziale Netzwerke 2011)

Einen Großteil der Angaben geben die Jugendlichen nur für ihre Kontaktliste frei (58 Prozent), 19 Prozent sind sogar nur für ausgewählte Nutzer sichtbar. (BITKOM-Studie Jugend 2.0, 2011) Gemessen an der großteils surrealen Dimension der Freundeskreise (siehe Grafik, obenstehend), kann man trotz diverser Privatsphäre-Einstellungen nicht von einer Sicherung der persönlichen Daten vor Einsicht Dritter sprechen. 

  • (c) www.mattmckeon.com

Bemerkenswert ist aber der Umstand, dass der Großteil der befragten Personen (42,50 Prozent) zwar ein Problem damit hat, dass ihre Person durch soziale Medien für die Öffentlichkeit transparenter wird, aber es hindert sie nicht daran, diese zu nutzen. 10,83 Prozent denken schon seit längerer Zeit darüber nach, sich von jeglichen sozialen Netzwerken abzumelden, 19,17 Prozent macht dieser Umstand gar nichts aus. 27, 50 Prozent der Befragten gaben an, dass sie besonders darauf achten, was für die Außenwelt bestimmt ist und was nicht. (Umfrage paroli/ 121 TeilnehmerInnen)

Vor allem junge Erwachsene sind es, die mit der Freiheit, die soziale Netzwerke bieten, (- aufgrund fehlender Medienbildung) nicht umgehen können und in eben diesen Content platzieren, der ihnen nachhaltig Schaden zufügen kann. Fotos der letzten Party, fragwürdige Statusnachrichten, die vielleicht gegen eine Person (- den letzten Chef) gerichtet sind oder eine „Gefällt mir“-Angabe bei einer politischen Gruppierung. All das sind heute Gründe dafür, dass man beispielsweise eine Anstellung in einem Unternehmen nicht zugesagt bekommt, weil sich die Personalabteilung womöglich vorher auf Facebook über ihre Bewerber informiert hat. 

Wie sollte es auch anders sein? Schließlich kann man in jungen Jahren den Umgang mit dem Internet nur selbst lernen. So etwas wie Medienbildung existiert an den österreichischen Schulen nicht, und Eltern sind mit der Nutzung des World Wide Web und dessen Funktionen oft selbst überlastet. 

Aus diesem Grund wünscht sich der Großteil der 121 befragten TeilnehmerInnen der paroli-Umfrage, 66,94 Prozent, mehr Informationen zum Thema Internet und Social Media sowie dessen Umgang. 

96 Personen (79,30 Prozent) würden es für gut empfinden, gäbe es Medienbildung an den Schulen. Ein noch sehr großer Anteil - 25 (20,7 Prozent) der TeilnehmerInnen - lehnt diesen Service ab. 

Fakt ist, heute gibt die Menschheit mit dem Eintritt in das Internet jene Informationen preis, die ihr vorher noch heilig waren. Vielleicht auch, weil sich speziell die nachrückende Generation im Internet, überspitzt gesagt, "wie zu Hause" fühlt. 

Kann man bei den "Digital Natives" also von Naivität, wenn nicht sogar von Dummheit im Umgang mit digitalen Medien sprechen?


Naiv? Bestimmt nicht!

Es ist nicht alles schwarz oder weiß. Sicher, es gibt immer Extreme: Facebook-Abstinenzler, die den Computer als moderne Schreibmaschine verstehen und - noch keine 30 Jahre jung - sich von der digitalen Flut überfordert fühlen. Und es gibt jene, die sich in dieser Flut wie ein Fisch im Wasser bewegen, die über Social Media alles rausschmeißen, von Fotos ihres letzten Currys bis hin zu ihrem Blogpost über die Euro-Krise und ihr Handy mit Schlafphasen-App unter den Polster legen. Die meisten jedoch bewegen sich zwischen diesen Extremen. Die meisten sind jene, die weder durch das eine noch das andere Extrem auffallen. Diesen Menschen Naivität oder gar Dummheit beim Umgang mit digitalen Medien zu unterstellen, ist ein Fehler, der vor allem der älteren Generation allzu leicht passiert.

Es ist tatsächlich so, dass die meisten ganz entspannt sind, was diese neuen Medien anbelangt - und auch sehr pragmatisch. Facebook nutzen sie, obwohl sie sich bewusst sind, dass hier persönliche Daten gesammelt werden. 

Harper Reed, Tech-Guru und Chief Technology Officer für Barack Obamas Wiederwahl-Kampagne 2012, sagt in einem Interview mit der Zeit, dass Facebook zwar "jede Menge Daten" sammelt, aber dem Nutzer "jede Menge coole Funktionen" bietet. Es sei ein "guter Tausch", ist sich Harper Reed sicher. "Wenn ich junge Leute dabei beobachte, wie sie mit ihren Daten und ihrer Datensicherheit umgehen, bin ich mir sicher, dass sie ganz genau wissen, was sie da tun und wofür die Daten benutzt werden. Sie haben ein gutes Verständnis davon, wie sie ihre Daten kontrollieren", erläutert er das Verhalten der nachrückenden Generation. 

Nachdenklich stimmt es den Tech-Guru nur, wenn "Regierungen versuchen, das Internet zu kontrollieren." Dies würde "Freiheiten eingrenzen." Und diese darf man sich nicht nehmen lassen, denn: "Ein Teil dieser gewährten Freiheit, ist die Freiheit, Scheiße zu bauen. Ein Teil dieser Freiheit liegt darin, neue Freiheiten zu erschaffen. Über neue Medien, Informationen auf neue Art und Weise zu teilen." 

Reed beziffert die sogenannten "Alten" bereits als "Mittdreißiger". "Es sind revolutionäre Anzeichen, aber wie die Revolution aussehen wird, wissen wir noch nicht." Und führt weiter aus: "Möglicherweise werden wir es gar nicht mitbekommen, bis sie passiert. Viele dieser jungen Menschen werden Unternehmen gründen. Sie werden mit Daten und mit dem Netz interagieren. Vor allem wird ihr Verständnis von Privatsphäre ein vollkommen anderes sein. Ihr Bedürfnis, mit ihren Freunden zu interagieren, ist ein ganz anderes. Man muss sich nur einmal 15-Jährige anschauen. Sie dokumentieren jeden ihrer Schritte. Wie wird sich das niederschlagen, wenn sie erst im geschäftsfähigen Alter sind?"

Soziale Netzwerke machen das Leben nicht zwingend lebenswerter, aber auch nicht schlechter, wie Harper Reed festhält: "Ich glaube an ein besseres Leben durch Daten. Aber es gibt eben auch Hunderte von Beispielen, auf die das nicht zutrifft. So bin ich mir nicht sicher, ob mein Leben dadurch besser wird, dass ich mit 2.000 Menschen über Facebook vernetzt bin. Es macht es auch nicht schlechter." Hierbei handelt es sich um einen "Kanal, der vernünftig genutzt werden will, und wer ihn am besten nutzt, gewinnt." 


  • (c) flickr.com (Gianluca1974)