aus dem Sinn
Der Prophet im eigenen Land
Jedes Jahr im Juli richtet sich der Blick der Sportwelt nach Frankreich zum größten Radrennen der Welt – der Tour de France. Zeitgleich findet die Österreich-Rundfahrt statt. Das Rennen genießt im Ausland einen hohen Stellenwert, in der Heimat hingegen findet es nur wenig Beachtung.
1947
die erste Österreich-Rundfahrt, noch unter einem anderen Namen
1949
der erste österreichische Sieger
1970er
Dominator Wolfgang Steinmayr
1990er
internationale Stars
2005 und 2006
wichtige Veränderungen
2008
letzter Gewinner aus Österreich
2012
Finanzielle Probleme
Frühjahr 2013
Die Probleme der Österreich-Rundfahrt
4. April 2013
Sitzung des ÖRV
30. Juni 2013
so stark wie selten
Bereits kurz nach dem Zweiten Weltkrieg fand erstmals ein Etappenradrennen in Österreich statt. Damals allerdings noch unter dem Namen „Quer durch Österreich“. 1947 sicherte sich der Franzose Robert Renonce den Sieg. Bei der zweiten Austragung im darauffolgenden Jahr konnte sich wieder ein Mann aus Frankreich durchsetzen. Raymond Colliot stieg anschließend zum Profi auf und fuhr für das Team Génial Lucifer – Hutchinson aus seiner Heimat.
Als das Rennen erstmalig unter dem Namen „Österreich Rundfahrt“ ausgetragen wurde, gab es auch gleich den ersten österreichischen Sieger. Der im Jahr 2000 verstorbene Richard Menapace holte sich sowohl 1949 als auch 1950 den Gesamtsieg. Menapace fuhr vor dem Zweiten Weltkrieg zwar Rennen in Italien und belegte dort 1938 beispielsweise den 13. Platz beim Giro d’Italia, nahm aber danach die österreichische Staatsbürgerschaft an. Ein Jahr vor seinem ersten Sieg bei der Ö-Tour gewann er bereits den Titel des österreichischen Straßenmeisters. Zu dieser Zeit war bereits Jacques Goddet Leiter der Tour de France und hatte Jahre zuvor schon die Gangschaltung am Rennrad bei der Tour zugelassen. Eine technische Neuerung gegen die sich die Direktion lange wehrte. Heute erinnert eine Statue am Col du Tourmalet, einem der berühmt-berüchtigten Berge der Tour, an den ebenfalls 2000 verstorbenen Goddet.
In den 70er-Jahren stand die Österreich-Rundfahrt ganz im Zeichen von Wolfgang Steinmayr. Der Bergspezialist gewann das Rennen in den Jahren 1972, 1973, 1975 und 1976. Nebenbei sicherte sich der Tiroler auch dreimal das Bergtrikot der österreichischen Landesrundfahrt. Im gleichen Jahrzehnt holte der Belgier Eddy Merckx vier seiner fünf Tour de France-Gesamtsiege (1970, 1971, 1972, 1974).
Da die Österreich-Rundfahrt bereits im Juni ausgetragen wurde, galt sie als gutes Vorbereitungsrennen für die im Juli stattfindende Tour de France. Denn die schweren Anstiege in den österreichischen Alpen waren vielleicht nicht so lange und steil wie die Bergankunft in L‘Alpe d’Huez oder ähnliche Gipfel bei der großen Schleife in Frankreich, trotzdem aber anspruchsvoll. Was zur Folge hatte, dass viele internationale Topfahrer nach Österreich kamen. So gewannen beispielsweise der Belgier Frank Vandenbroucke (1996) und der Italiener Daniele Nardello (1997) die Gesamtwertung der Rundfahrt.
Seit 2005 findet die Österreich-Rundfahrt zeitgleich mit der Tour de France statt. “Es ist für uns der perfekte Termin”, sagt Rundfahrtorganisatorin Ursula Riha. Wegen des Klimas könne man in Österreich das Rennen frühestens Ende April durchführen. Der heurige Giro d’Italia, mit seinen Etappenstreichungen und Verkürzungen aufgrund von Schneefall hat gezeigt, wie unberechenbar das Wetter in den Alpen ist, selbst noch im Mai. Später im Jahr wird der Rennkalender noch enger und mit der Vuelta d’Espana und der Straßen-WM stehen zwei weitere Saisonhöhepunkte am Programm. „So haben wir Anfang Juli die besten Chancen Topfahrer nach Österreich zu holen, da wir das zweitwichtigste Rennen sind“, so Riha. Die Ö-Tour zählt nämlich zur UCI Europe Tour und dort seit 2006 zu den Rennen der Hors Categorie, also der zweithöchsten Kategorie im Männerstraßenradsport.
Bereits fünf Jahre ist es her, dass ein Österreicher einen Heimsieg in der Gesamtwertung feiern konnte. Wurde er im Jahr davor noch Zweiter, holte Thomas Rohregger 2008 den Sieg. Bei der Ausgabe von 2013 fehlt der Innsbrucker, da ihn ein chronischer Infekt bereits die ganze Saison verfolgt und immer wieder aus der Bahn wirft.
Nach gut 1154 Kilometern krönte sich der Däne Jakob Fuglsang letztes Jahr zum Sieger der Österreich-Rundfahrt. Die letzte Etappe am 8. Juli führte auf 122,8 Kilometern von Podersdorf nach Wien. Auf dem letzten Abschnitt wird der Gesamtführende nicht mehr attackiert und so rollte Fuglsang als 57. über die Ziellinie. Steve Morabito aus der Schweiz und Robert Vrecer aus Slowenien komplettierten das Podium des Gesamtklassements.
- (c) Mario Stiehl
Die budgetäre Situation der Österreich-Rundfahrt war seit längerem angespannt. „Von organisatorischer Seite her werden bestimmte Kostenanteile immer höher und gleichzeitig wird es immer schwieriger Sponsoren zu finden“, gab Organisatorin Ursula Riha bekannt. So werden zum Beispiel die Sicherheitsauflagen der Bundesländer immer kostenintensiver. Rund 1000 Personen sind während der Tour ausschließlich für Absperrmaßnahmen zuständig. Internationale Sponsoren zeigen zwar Interesse an der Rundfahrt, fordern aber eine komplette Liveübertragung. „Das würde uns um die 150.000 Euro pro Etappe kosten und ist für uns nicht finanzierbar“, erklärte Riha.
In der Vorstandsitzung des Österreichischen Radsport Verbandes (ÖRV) wurde entschieden, dass die Ö-Tour weder abgesagt noch auf fünf Tage verkürzt wird, sondern über die vollen acht Tage gehen soll. Zu wichtig ist die Bedeutung des Rennens für den Profiradsport in Österreich. Denn besonders die heimischen Teams und ihre Sponsoren benötigen die internationale Bühne. Die Budgetprobleme waren trotz einiger zusätzlicher Sponsoren nicht vom Tisch und die Veranstalter rechneten bereits zu diesem Zeitpunkt mit einer negativen finanziellen Bilanz.
Im Boxsport heißt es, der Gegner ist am stärksten, wenn er angeschlagen ist. Ähnliches gilt scheinbar auch für den Radsport. Denn trotz aller Widrigkeiten verfügt die Österreich-Rundfahrt heuer über ein so starkes Fahrerfeld wie selten zuvor. Nicht nur die österreichischen Spitzenleute wie Bernhard Eisel, Matthias Brändle, Stefan Denifl und Marco Haller gehen am 30. Juni in Innsbruck an den Start. Der mehrfache Zeitfahrweltmeister Fabian Cancellara ist ebenso dabei, wie der Straßenweltmeister von 2010 Thor Hushovd. Außerdem sind Alessandro Ballan (Weltmeister 2008), Ivan Basso (Giro-Gewinner 2010), Tom Boonen (Gewinner Paris-Roubaix 2012) und Gerald Ciolek (Gewinner Mailand-Sanremo 2013) im Aufgebot der 65. Auflage. „Ich denke diese Fahrer sind die beste Werbung für unsere Rundfahrt und bringen uns sicher eine Menge Aufmerksamkeit ein“, zeigt sich Ursula Riha optimistisch. Im Ausland ist das Rennen ohnehin sehr angesehen, nur in Österreich selbst fehlt es ein wenig am (medialen) Interesse. Ob es diesmal wieder einen österreichischen Gesamtsieg gibt, der vielleicht ein größeres Medienecho erzeugen könnte, steht dann am 7. Juli in Wien fest.