Analyse
Die gerontokratische Republik
Minister sind im Schnitt 53 Jahre alt. Im Nationalrat sitzen nur zwei Mandatare unter 30 Jahren. Selbst ein 80-jähriger Spitzenkandidat ist hierzulande, wo mehr 71- als 17-Jährige leben, mittlerweile möglich. Die Jugend verliert dabei ihre Bedeutung als Wählerschicht, mit fatalen Folgen.
Der durchschnittliche Österreicher ist 1,72 m groß, trinkt - gerechnet aufs Jahr - etwa 13 Liter reinen Alkohol, verdient rund 23.000 Euro brutto, hat 1,4 Kinder und ist 41,9 Jahre alt. Was aber für jeden anderen ganz normal ist, gibt bei ihm Grund zur Sorge: Er wird immer älter. Auf 100 Personen zwischen 20 und 64 kamen 1981 noch 51,1 Menschen unter 20 Jahren. Bis 2011 sank der sogenannte Jugendquotient auf 33 zu 100. Das bedeutet nicht nur, dass die Überalterung der Bevölkerung in Zukunft noch stärker zunehmen wird, sondern auch, dass sich der gesellschaftliche Fokus verschiebt. Die Zeiten, in denen nur 14 bis 49-Jährige als werberelevante Zielgruppe galten, sind ebenso vorbei wie die Bemühungen der Politik, junge Gesellschaftsschichten anzusprechen. Es gibt immer mehr ältere Menschen und die Politik versucht es ihnen recht zu machen. Die Interessen der Jungen bleiben dabei immer mehr auf der Strecke. Österreich verkommt zur Gerontokratie.
Ein Repräsentationsproblem
Die österreichische Politik wird nicht nur dem Hauptwählersegment nach von der Generation 50plus dominiert. Mit Gerald Klug ist der jüngste Minister in der Bundesregierung 44 Jahre alt. Von den 14 Regierungsmitgliedern sind nur drei unter 50 Jahren (Mikl-Leitner, Karl und Klug), neun in ihren 50ern und zwei über 60 (Töchterle, Hundstorfer). Ein Ausreißer in der Bundespolitik ist der 26-jährige Staatssekretär Sebastian Kurz. Jünger als er ist unter den Regierungsmitgliedern und Staatssekretären sowie den Mitgliedern von National- und Bundesrat nur noch die ÖVP-Abgeordnete Eva-Maria Himmelbauer. Der nächste in der Reihe ist der 29-jährige Tankstellenangestellte Mathias Venier, der für die FPÖ im Nationalrat sitzt. Er ist neben Himmelbauer der einzige Mandatar im österreichischen Parlament unter 30 Jahren. Die junge Alternative der Sozialdemokratie Laura Rudas ist mittlerweile 32 Jahre und auf dem politischen Abstellgleis.
Das Durchschnittsalter im Nationalrat lag mit Stichtag 9. Mai 2012 bei 51,23 Jahren. Im Bundesrat mit 11. Juni dieses Jahres bei 51,57 Jahren. Selbst wenn man behaupten würde, dass Politik immer schon von alten Männern (und einigen Frauen) gemacht worden sei, stimmte das nur bedingt. Das Durchschnittsalter lag im Nationalrat schon einmal bei 47,56 Jahren, nämlich 1920. Selbst 1945, als sich noch der Großteil der jüngeren Politiker im Exil oder in Kriegsgefangenschaft befand, waren die Abgeordneten im Schnitt fast zwei Jahre jünger als heute. 27 Mitglieder des Nationalrates waren 2012 über 60 Jahre alt, aber nur 21 unter 40 Jahren. Das ist selbst angesichts der sich umkehrenden Bevölkerungspyramide erstaunlich. Neben den Männern, den Beamten, den Bauern und der Raiffeisenbank ist damit vor allem eine Gruppe im Parlament überrepräsentiert: Die Alten.
Machtfaktor Senioren
Wenn Politiker in der Vergangenheit versuchten Pensionskürzungen mit Gesundheitsleistungen zu rechtfertigen, verführen sie sich schnell im Treibsand politischer Polemik. Das Gegenrechnen staatlicher Transferleistungen ist ein beliebtes Mittel, um Eingriffe in das Sozialsystem zu rechtfertigen. Als Silvia Fuhrmann (ÖVP) 2004 meinte, die „Pensionssicherungsmaßnahmen“ der schwarz-blauen Regierung würden für den Einzelnen maximal den Verlust von drei Wurstsemmeln ausmachen, kochten die Pensionistenseelen über. Die Äußerung selbst mag abgeschmackt und peinlich sein, das Schicksal von Fuhrmann zeigt aber den Einfluss der Seniorenlobby sehr deutlich. Sie wurde zur Hinterbänklerin degradiert und wird mit Ende dieser Legislaturperiode in die Privatwirtschaft wechseln.
Angriffe auf die Interessen der Pensionisten kommen mittlerweile einem politischen Selbstmord gleich. Allein der sozialdemokratische Pensionistenverband hat 2013 eine Mitgliederzahl von fast 396.000 erreicht. Der ÖVP-Seniorenbund liegt bei etwa 305.000 Mitgliedern. Damit vertreten die Chefs der beiden stärksten Interessensvertretungen Karl Blecha und Andreas Khol mehr Menschen, als die Landeshauptmänner von Vorarlberg und Burgenland. Ihre Macht reicht von der Trägerkonferenz des Hauptverbandes der Sozialversicherungsträger bis hin zum Produktsicherheitsbeirat. Einflussmöglichkeiten, von denen die Jungen nur träumen können. Als der Bundesjugendrat 2008 forderte, ebenfalls im Hauptverband vertreten zu sein, wiegelte ihn das Sozialministerium ab. Es gehe dort schließlich nicht um Generationenrepräsentation.
Jugendliche Politik statt Jugendpolitik
Vor allem die sinkende Zahl jüngerer Menschen bedingt eine Abnahme ihres Einflusses auf politische Entscheidungsprozesse und stärkt gleichzeitig die Stellung der Generation über 50 als Wählergruppe. Der angeblichen Politikverdrossenheit der Jugend kann dabei kaum die Schuld gegeben werden. Ihre Wahlbeteiligung liegt meist nur knapp unterhalb jener der Gesamtbevölkerung. Dennoch wiegt ihre Stimme deutlich weniger. Bei der letzten Landtagswahl in Tirol votierten 26 Prozent der unter 30-Jährigen für die ÖVP, 20 Prozent wählten Grün. Im Gesamtergebnis lagen die Volkspartei mit fast 40 Prozent und die Grünen mit 12 Prozent jedoch weiter auseinander. Der Grund: 53 Prozent der Wähler über 60 stimmten für die ÖVP, aber nur 6 Prozent für die Grünen. Die Liste GUGRISER wiederum schaffte den Einzug in den Landtag nicht, obwohl 7 Prozent der unter 30-Jährigen für sie gestimmt hatten. Dabei ist Tirol neben Vorarlberg noch das Bundesland mit der jüngsten Bevölkerung.
Die beiden ehemaligen Großparteien haben den Wahlkampf um junge Wählerstimmen mittlerweile massiv zurückgeschraubt. Die ÖVP begnügt sich mit Sebastian Kurz als One-Man-Show. Die SPÖ hat Laura Rudas nach einigen peinlichen Patzern wieder in der Versenkung verschwinden lassen. Das Desinteresse an der Jugend spiegelt sich daher auch bei den Funktionären wieder: 2004 waren nur noch knapp 3 Prozent der Wiener SPÖ-Mitglieder unter 30 Jahre, aber fast 24 Prozent über 70 Jahre.
Einen zumindest vordergründigen Jugendwahlkampf führt nur noch die FPÖ. Dabei ist Straches betont jugendliches Auftreten nicht nur als Angebot an Wähler unter 30 Jahren zu verstehen. Die Strategie passt vielmehr in den Versuch, ihn im Vergleich zu etablierten Politikern als frische Alternative zu präsentieren. Die zur Schau gestellte Jugendlichkeit des mittlerweile 44-jährigen freiheitlichen Parteichefs schlägt damit gleich zwei Fliegen mit einer Klappe: Sie soll einerseits bei der jungen Bevölkerung im unteren Bildungssegment ein „einer von uns“-Bild erzeugen und andererseits bei älteren Wählern den Eindruck eines dynamischen Kämpfers gegen das Establishment hinterlassen. Zumindest ein Teil der Strategie scheint aufzugehen: Bei den jungen Männern liegt die FPÖ regelmäßig auf dem ersten Platz. Ihre Stimmen wandern noch massiver zu den Freiheitlichen, als es die jungen Frauen zu den Grünen zieht.
Altersheim statt Kindergarten
Die größten Auswirkungen des Rückzugs der Politik von der Jugend werden sich erst noch zeigen. Auch wenn man mit Zahlenvergleichen vorsichtig sein muss, bestimmte Tendenzen lassen sich bereits absehen: Schon allein aus demografischen Gründen sind die Ausgaben für Pensionen mittlerweile auf 16 Prozent des BIP angestiegen, wohingegen nur 5,9 Prozent für Bildung ausgegeben werden. Dass sich die öffentliche Hand darauf einstellen muss, künftig Seniorenheime statt Kindergärten zu bauen, scheint in Anbetracht der Bevölkerungsentwicklung unausweichlich. Diese spiegelt sich bereits in der politischen Partizipation wieder: 627.559 Menschen unterschrieben 2004 das Pensions-Volksbegehren. Das Volksbegehren Bildungsinitiative erhielt 2011 dagegen nur 383.724 Unterschriften. Letzendlich stellt sich aber auch die Frage, wie zielführend die Verfolgung von Partikularinteressen für einzelne Generationen ist. Ohne Jugend hat auch das Alter keine Zukunft. Und oft hilft auch die reine Masse nichts: Am Ende wurde nämlich keines der beiden Volksbegehren umgesetzt.
Quellen:
Statistik Austria - Bevölkerung seit 1981 nach breiten Altersgruppen
Statistik Austria - Bevölkerung nach Alter und Geschlecht
Statistik Austria - Anzahl der Pensionen und Renten nach Kategorien 1970 bis 2011
Parlament - Altersstruktur der Parlamentarier
ORF - Wahlverhalten nach Altersgruppe und Geschlecht, Landtagswahl Tirol
Bild: Flickr/Sugarlemon