Paroli
Prekär beim Bund
Verwaltungspraktika, freie Dienstverträge und Leiharbeit: Wie die Republik billige Mitarbeiter anheuert. Praktikumsrundfahrten, Kettenverträge und die finanzielle Ausbeutung junger Menschen sind in vielen Branchen der Wirtschaft üblich. Sollte nicht gerade der Staat hier eine Ausnahme bilden?
- Michael Spindelegger und Werner Faymann (Foto: BKA/HOPI-Media)
* Namen von der Redaktion geändert
Arbeit ist parteiübergreifend das Hauptthema in diesem Wahlkampf. „Arbeit, von der man Leben kann“, steht auf den Plakaten der SPÖ, die ÖVP will mit einem Job-Paket mehr Arbeitsplätze schaffen und pocht auf eine Flexibilisierung der Arbeit. Währenddessen aber beschäftigen Regierung, Parlament und Verfassungsgerichtshof selbst zusammen über 1.000 freie Dienstnehmer, Praktikanten und Leiharbeiter. Manche davon verdienen weniger als die gesetzliche Mindestsicherung, andere werden in rechtlich fragwürdigen Verhältnissen beschäftigt.
Anfang 2013 hat die Bundesregierung ihr Sparpaket samt Aufnahmestopp verkündet. Neueinstellungen sollte es nur noch in den Bereichen Schule, Polizei und Justiz geben. Von Aufnahmestopp kann jedoch auch in den anderen Teilen der Bundesverwaltung keine Rede sein. Wie der Standard berichtete, wird dieser zum Teil mit Hilfe von Leiharbeitern umgangen. Unsere Recherchen ergaben, dass auch andere atypische Beschäftigungsverhältnisse wie freie Dienstverträge und Verwaltungspraktika genutzt werden. Das ist kostenschonend, außerdem scheinen die Beschäftigten nicht im Stellenplan auf und die Ministerien können über Sachkosten frei verfügen, über Personal nicht. Solche Dienstverhältnisse gelten nämlich als Sachkostenaufwand. Die Ministerien versichern paroli gegenüber bei freien Dienstnehmern handle es sich in den meisten Fällen um kurzfristig angekauftes, externes Fachwissen. Arbeitsrechtliche Bestimmungen würden eingehalten. Erfahrungsberichte von Betroffenen widerlegen dies.

Verwaltungspraktikum

Verwaltungspraktika sind maximal einjährige Ausbildungsverhältnisse mit der öffentlichen Hand. Die rechtliche Grundlage bilden die §§ 36a bis 36d des Vertragsbedienstetengesetzes 1948. Verwaltungspraktika dienen laut Gesetz dazu „Personen die Möglichkeit einzuräumen, ihre Berufsvorbildung oder Schulbildung durch eine entsprechende praktische Tätigkeit in der Bundesverwaltung zu ergänzen und zu vertiefen und auf diese Weise die Verwendungen im Bundesdienst kennen zu lernen“. Betroffene erhalten aufgrund des Ausbildungscharakters ihres Praktikums lediglich das halbe Einstiegsgehalt ihrer jeweiligen Dienstklasse. Je nach Qualifikation sind dies zwischen 1.132,75 und 736,70 Euro im Monat. Verwaltungspraktika laufen nach spätestens einem Jahr aus und dürfen nicht verlängert werden. Praktikanten haben keinen Anspruch auf Übernahme in ein geregeltes Dienstverhältnis.
Eine günstige Lösung?
Beim Verwaltungspraktikum handelt es sich um ein gesetzlich geregeltes Ausbildungsverhältnis. Es bildet für den Bund gleichzeitig eine Möglichkeit, vor allem junge Arbeitskräfte für ein Jahr zu finanziell günstigen Konditionen zu beschäftigen. Das dient allerdings als Argument, diesen Personen nur halb soviel zu bezahlen, wie jenen, die ein reguläres Dienstverhältnis antreten. Auch Beamtenministerin Gabriele Heinisch-Hosek betont im Interview mit paroli den Ausbildungscharakter dieser Praktika: „Das Gesetzt sieht nicht vor, dass Verwaltungspraktikanten als normale Arbeitskräfte herangezogen werden dürfen. Es ist natürlich möglich, dass auch praktische Aufgabenstellungen gelöst werden sollen, der Ausbildungscharakter muss aber klar überwiegen.“ Die Realität kann aber anders aussehen, wie Simon*, ehemaliger Verwaltungspraktikant in einem Ministerium, berichtet:

Simon hat zunächst als Verwaltungspraktikant, dann als freier Dienstnehmer mit demselben Aufgabenbereich für ein Ministerium gearbeitet. Zeitweise war er nebenher für noch eine oberste Bundesbehörde als freier Dienstnehmer tätig.
„Einschulung gab es praktisch keine. In meiner zweiten Arbeitswoche musste ich schon allein zurechtkommen und gleichzeitig einen Mitarbeiter und den Abteilungsleiter vertreten. Ich habe eine Computereinschulung und einen Kurs für ein Datenverwaltungssystem bekommen, das war's.“
Verwaltungspraktikanten werden von manchen Vorgesetzten aber auch für niedere Tätigkeiten eingesetzt, wie Bettina*, während unserer Recherche Verwaltungspraktikantin in einem Ministerium, schildert:

Bettina ist Akademikerin mit Auslandserfahrung und schloss zum Zeitpunkt unserer Recherche gerade ihr PhD-Studium ab. Sie hat gleichzeitig in einem Ministerium als Verwaltungspraktikantin gearbeitet.
„Jeder Abteilungsleiter behandelt seinen Praktikanten anders - Küche putzen oder Privatkram für sie erledigen lassen kommen ebenso vor, wie Praktikanten wichtige Dokumente schreiben lassen.“
Für Martin Risak, ao. Univ.-Prof. am Institut für Arbeits- und Sozialrecht der Universität Wien, ist das eine zweckentfremdete Verwendung:

Sabine hat ein Jahr lang als Verwaltungspraktikantin für das Gesundheitsministerium gearbeitet, bevor sie übernommen wurde. Zuvor war sie in der Privatwirtschaft tätig.
„Klassische soziale Auslese“
Wie Simon sah sich auch Bettina nie wirklich in Ausbildung, nach einer kurzen Einschulung sei sie eingesetzt worden, „wie jeder andere Mitarbeiter, der in die Abteilung kommt“, wie sie schildert. Sabine*, eine ehemalige Verwaltungspraktikantin im Gesundheitsministerium, musste nach einer Einschulungsphase sogar selbständig Bescheide ausstellen. Diese Praktikanten wurden aber nicht nur mangelhaft eingeschult und mussten bereits nach kurzer Zeit gleiche Arbeiten wie Angestellte leisten, sie erhielten dafür auch nur die Hälfte der regulären Bezahlung. Ohne Matura liegt der Verdienst allgemein für 40 Wochenstunden bei 736,70 Euro brutto im Monat. Mindestsicherungsbezieher erhalten im Vergleich in Wien 794,91 Euro.
Risak nennt das „klassische soziale Auslese“:
Tatsächlich räumt Heinisch-Hosek im paroli-Interview die geringe Bezahlung zwar ein, gibt aber dem Koalitionspartner ÖVP die Schuld am Entlohungsniveau der Verwaltungspraktikanten:

Den Betroffenen hilft das freilich wenig. Sie sind oft auf Hilfe von außen angewiesen, um über die Runden zu kommen. Sabine erzählt ihre Eltern hätten ihr „beinahe jeden Monat aushelfen“ müssen. Anderen erging es ähnlich: „Ohne finanzielle Hilfe wäre es unmöglich, von dem Gehalt zu leben“, meint Bettina. „Wenn ich nicht noch weiterhin im Studentenheim gewohnt hätte, wäre das für mich finanziell nicht möglich gewesen“, sagt Simon.
Sabine wurde beim Antritt ihres Verwaltungspraktikums versprochen, dass sie nach dessen Ablauf fix übernommen werden würde. Sie konnte es sich leisten, ein Jahr zum halben Lohn zu arbeiten und bei der 'sozialen Selektion', wie Risak es betitelt, mitzuspielen. „Da geht es um informelle Auswahlprozesse. Ist ein Verwaltungspraktikum für eine Aufnahme in den regulären Dienst eine wesentliche Voraussetzung? Wenn sie das ist [...] dann ist das ganz klar eine soziale Auslese, weil sich nicht alle Leute das leisten können, zu reduziertem Lohn zu arbeiten“, sagt Risak.
Anders bei Bettina: „Man hat stets betont, dass eine Übernahme ausgeschlossen sei." Simon hingegen wurde von seinem Ministerium nach dem Praktikum ein freier Dienstvertrag angeboten, somit wechselte er von einem prekären Arbeitsverhältnis in das nächste.
Freier Dienstvertrag

Freie Dienstnehmer können sowohl von der Privatwirtschaft als auch vom Staat beschäftigt werden. Ihr Dienstvertrag unterscheidet sich von herkömmlichen Arbeitsverträgen dadurch, dass für gewöhnlich nur eine geringe oder keine persönliche Abhängigkeit zum Dienstgeber besteht, der freie Dienstnehmer keiner Erfolgsgarantie unterliegt, sich vertreten lassen und seine eigenen Arbeitsmittel verwenden kann. Außerdem sind freie Dienstnehmer nicht in die Organisation des Betriebes eingegliedert. Sie erhalten ihr Honorar zunächst brutto und müssen daher jährlich eine Einkommenssteuererklärung abgeben. Freie Dienstnehmer unterliegen der Sozialversicherung, haben jedoch erst ab dem vierten Krankheitstag Anspruch auf Krankengeld und können nicht in Karenz gehen. Außerdem stehen ihnen weder bezahlte Urlaubsansprüche noch ein 13. oder 14. Gehalt zu. Freie Dienstnehmer, die für öffentliche Körperschaften arbeiten, werden nicht von der Arbeiterkammer vertreten (§ 10 Abs 2 Z 1 lit. a Arbeiterkammergesetz).
„Es ist trotzdem ein Arbeitsverhältnis“
Freie Dienstverträge haben sich in der Privatwirtschaft zu einem beliebten Mittel entwickelt, um arbeits- und sozialrechtliche Schranken zu umgehen. Die Grünen forderten deshalb schon deren Abschaffung. Aber auch der Staat setzt auf diese Konstruktion, um Arbeitsaufgaben auszugliedern.
Grundsätzlich genießen freie Dienstnehmer gewisse Vorteile: Sie können von zuhause aus arbeiten, sind nicht an die Weisungen des Dienstgebers gebunden und unterliegen keinen fixen Dienstzeiten. Die Nachteile liegen in der mangelnden sozialen Absicherung - wie etwa dem fehlenden Urlaubsanspruch und keinem 13. und 14. Monatsgehalt.
Oft werden die Merkmale eines freien Dienstvertrages jedoch nur auf dem Papier eingehalten - welcher Vertrag vorliegt hängt jedoch nicht davon ab, wie man ihn bezeichnet, wie Martin Risak erklärt: „Wenn ich in einem Arbeitsverhältnis bin und mein Arbeitgeber sagt: ‘Das ist kein Arbeitsverhältnis, sondern ein freier Dienstvertrag’, dann ist es trotzdem ein Arbeitsverhältnis.“ Solche falsch definierten Arbeitsverhältnisse sind im Bundesdienst keine Seltenheit, wie Simon erklärt:
„In meinem Ministerium arbeiten über 20 freie Dienstnehmer. Dabei kenne ich keinen, dessen Tätigkeit tatsächlich die Formalkriterien eines freien Dienstvertrages erfüllen würde. Wir müssen alle die Kernzeit einhalten und im Ministerium selbst arbeiten. Bevor ich einen freien Dienstvertrag erhalten habe, war ich Verwaltungspraktikant. An meinen Tätigkeiten hat sich aber nichts geändert. (… ) Mein freier Dienstvertrag ist ein einziges Lügenkonstrukt.“
Risak sieht sich Simons Vertrag genauer an:
Stille beim Bundeskanzleramt
Die verschiedenen Ministerien, die Parlamentsdirektion und der Verfassungsgerichtshof räumten im Zuge der paroli-Recherchen ein, insgesamt 364 freie Dienstnehmer zu beschäftigen. Das Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung verwies auf eine parlamentarische Anfrage aus dem Jahr 2012, die jedoch zum Thema freie Dienstnehmer keine wesentlichen Erkenntnisse enthielt. Das Bundeskanzleramt (BKA) hat trotz mehrerer Anfragen in dieser Sache keine substanziellen Auskünfte erteilt. Die Nichtbeantwortung wurde schließlich von Alois Schittengruber, stellvertretender Sektionschef im BKA und Leiter der Abteilung Rechts- und Vergabeangelegenheiten, in einem eineinhalbseitigen Schreiben unter anderem wie folgt begründet:
Zuletzt hätten etwa 40 freie Dienstnehmer für das Kanzleramt gearbeitet, berichtet Sophie*, die bis Ende letzten Jahres selbst als freie Dienstnehmerin im dortigen Bürgerservice beschäftigt war. Das BKA habe diese in eine sogenannte Arbeitsgemeinschaft (ArGe) zusammengefasst. Die Tätigkeiten der dort Beschäftigten hätten aber kaum den Merkmalen von freien Dienstverhältnissen entsprochen:
„Die freien Dienstnehmer des BKA haben vom Kanzleramt vorgegebene Dienstpläne, erhalten Anweisungen der zuständigen BKA-Abteilung und haben fixe Büroräume. Die ArGe war in ihrer Arbeitsweise so eng an die Vorgaben des BKA gebunden, dass selbst bei dringendem Bedarf keine unausgelasteten Mitarbeiter aus einem Büro (z.B. Europatelefon) in ein anderes (z.B. Bürgerservice) abgezogen werden durften.“
Auf den ersten Blick wirkt das nicht unbedingt „wie der typische freie Dienstvertrag - wenn man es vorsichtig formuliert“, kommentiert Arbeitsrechtler Risak Sophies Aussagen:

Mark hat eineinhalb Jahre als freier Dienstnehmer beim Bürgerservice des Bundeskanzleramtes gearbeitet und schließlich gekündigt.
Personalpolitik des BKA wirft Fragen auf
Dass die freien Dienstnehmer in ihrer Arbeitseinteilung nicht so frei waren wie ihr Vertrag es erlaubt hätte, bestätigt auch Mark*, der etwa eineinhalb Jahre für das BKA gearbeitet hat. Er habe einen fixen Arbeitsplatz besessen, die Dienstzeiten seien nur innerhalb eines vorgegebenen Dienstplans tauschbar gewesen. Zu den Aufgaben der etwa 40 Beschäftigten, von denen einige bis zu 30 Stunden in der Woche arbeiten würden, gehören neben der Betreuung des Bürgertelefons und des Europatelefons auch die Freischaltung der Bürgerkarte im Servicezentrum, die Ausfertigung schriftlicher Anfragebeantwortungen, der Dienst am Tag der offenen Tür am Nationalfeiertag, Führungen für Besuchergruppen, Medienbeobachtung, Journaldienste, die Arbeit bei externen Messen inklusive Reisetätigkeiten, die Durchsicht von Beamtenmails auf Rechtschreibfehler sowie zeitweise auch die Beantwortung von Anfragen an help.gv.at. Die Personalpolitik des Kanzleramtes habe auch beim zuständigen Finanzamt Fragen aufgeworfen, so Sophie weiter:

Sophie hat mehrere Jahre als freie Dienstnehmerin für das Bundeskanzleramt gearbeitet und dieses schließlich freiwillig verlassen.
„Das BKA hat diese Mitarbeiter in eine sogenannte Arbeitsgemeinschaft (ArGe) als Gesellschaft bürgerlichen Rechts zusammengefasst, die formal unabhängig ist und für das BKA arbeitet. Buchhaltung und Steuerangelegenheiten werden jedoch vom BKA wahrgenommen. Die ArGe wäre aufgrund ihrer Jahresumsätze eigentlich auch umsatzsteuerpflichtig, das BKA hat sich dahingehend jedoch mit dem zuständigen Finanzamt geeinigt.“
Unter welchen Umständen sich eine gesellschaft bürgerlichen Rechts von der Umsatzsteuer befreien und wie man sich mit einem Finanzamt „einigen“ kann, bleibt fraglich. Auch die Personalpolitik der ArGe sei, so Sophie weiter, maßgeblich vom BKA bestimmt worden: So habe man bei Besetzungen Verwandte von BKA-Mitarbeitern und politische Wünsche berücksichtigen müssen.
Gängige Praxis im Bundesdienst
Auch Ministerien setzen zum Teil freie Dienstnehmer wie normale Verwaltungsbedienstete ein. Simon sagt, er komme jeden Tag in seine Arbeitsstelle, habe ein Zimmer mit Türschild, einen Computer, ein Diensthandy und werde sogar im Organigramm geführt. Risak meint dazu:
Theoretisch dürfe er, sagt Simon, als freier Dienstnehmer ja arbeiten wo und wann er wolle, aber:
„Ich möchte sehen, wie das Ministerium reagiert, wenn ich plötzlich von daheim arbeite. Ich bin jeweils zum Monatsersten kündbar. “
Natürlich kann der Staat freie Dienstnehmer auch beschäftigen, indem er die Merkmale ihres Vertrages auch wirklich anwendet. Dass der vertragswidrige Einsatz von freien Dienstnehmern im Bundesdienst aber vorkommt, wird erkennbar, wenn man Sophie und Simon weiter zuhört:
- Das Unterrichtsministerium habe zeitweise ein eigenes Servicetelefon betrieben, das ausschließlich von Mitarbeitern der Arbeitsgemeinschaft des BKA bedient worden sei, erzählt Sophie.
- Der Verfassungsgerichtshof (VfGH) beschäftige freie Dienstnehmer und habe für diese die Verträge des BKA übernommen. Das bestätigt auf Anfrage auch dessen Sprecher Christian Neuwirth : „Der Verfassungsgerichtshof beschäftigt derzeit sieben freie Dienstnehmer; freie Dienstnehmer sind im VfGH durchschnittlich zwei bis drei Jahre lang beschäftigt.“ Nach Möglichkeit würden diese vereinzelt auch übernommen. Unsere Frage nach etwaigen arbeitsrechtlichen Bedenken bleibt jedoch unbeantwortet.
- "Das Parlament beschäftigt sehr viele Mitarbeiter mit solchen Verträgen", erklärt Simon und führt aus:
„Oft sind es Studenten, die sich etwas dazuverdienen, andere arbeiten aber auch regulär 40 Stunden und ersetzen normale Arbeitskräfte. Die sitzen alle im Parlamentsgebäude an Schreibtischen und müssen sich an die vorgegebenen Arbeitszeiten halten.“ - Das Außenministerium sei nach Simon am auffallendsten: „Die Leute dort werden ausgenützt, wie man es nicht für möglich halten würde. Praktikanten werden gewechselt wie anderswo die Handtücher.“
Die Parlamentsdirektion bestätigt gegenüber paroli den Einsatz freier Dienstnehmer. Man beschäftige sie, „um Spitzen im Bedarf an MitarbeiterInnen flexibler abdecken zu können“ und „um Interessierten die Möglichkeit zu geben, Einblick in das parlamentarische Geschehen zu bekommen.“ Für diesen Einblick und die Abdeckung der parlamentarischen Spitzenarbeit beschäftigt die Bundesgesetzgebung derzeit nach eigenen Angaben 63 freie Dienstnehmer. Das entspricht in etwa 17 Prozent der auf der Parlamentshomepage aufgeführten Mitarbeiter. Gleichzeitig versichert das Parlament, keine arbeitsrechtlichen Bedenken zu haben, „da die Merkmale des freien Dienstvertrages verwirklicht sind und auch in der Praxis ‚gelebt‘ werden.“
Stumme Gewerkschaft
Die Angst, die freien Dienstverträge als reguläre Arbeitsverträge einzuklagen, ist allerdings groß. Simon meint dazu: „Wenn ich vom Dienstgeber verlangen würde, dass er meinen Vertrag einhält, wäre ich nächsten Monat arbeitslos.“ Auf die Gewerkschaft oder die Personalvertretung brauchen die freien Dienstnehmer dabei nicht zu zählen: „Gewerkschaft...?? Nicht für uns“, meint etwa Bettina, als wir sie danach fragen. Auch Simon hat von gewerkschaftlicher Unterstützung nichts mitbekommen: „Ich habe schon mal ein E-Mail an die Gewerkschaft geschickt, da ist dann einfach nur ‚die Problematik ist uns bekannt‘ zurückgekommen, nicht mehr. Ein Kollege hat sich an einen Gewerkschafter gewandt, der hat ihn danach gemieden, wenn er ihn am Gang gesehen hat.“ Mark aus dem BKA hatte während seiner Tätigkeit „niemals Kontakt zu Personalvertretern oder Gewerkschaftern.“
Das große Schweigen der Personalvertreter hat sich auch während der paroli-Recherchen bestätigt: Weder der Österreichische Gewerkschaftsbund (ÖGB), noch die Gewerkschaft Öffentlicher Dienst (GÖD) oder die Arbeiterkammer (AK) haben auf unsere E-Mails oder Anrufe reagiert. Der Eindruck liegt nahe, dass man sich für prekär Beschäftigte beim Bund nicht einsetzen möchte. Man müsse sich fragen als wessen Vertreter sich die Gewerkschaft überhaupt sehe, sagt Risak dazu, und ob sie nur das Stammpersonal vertrete. Denn sie sei „verhältnismäßig still dazu."
Nur einer redet Klartext
Der einzige Gewerkschaftsvertreter, der bereit war, uns umfassend Auskunft zu geben, war Gernot Nischelwitzer von der Personalvertretung im Amt der Kärntner Landesregierung. Er kennt die Probleme der freien Dienstnehmer gut. 2008 hat seine Gewerkschaft eine Sammelklage von Betroffenen gegen das Land Kärnten vertreten. Auf die Frage, ob diese damals Angst vor einer Klage gehabt hätten antwortet er:

Von den etwa 700 freien Dienstnehmern und Personen mit Werkvertrag, die das Land Kärnten damals beschäftigt habe, hätte man ca. 350 als Umgehung arbeitsrechtlicher Bestimmungen sehen können. Nach einem Präzedenzfall habe man dann für 180 Betroffene per Gerichtsurteil eine Fixanstellung erreicht, 80 weitere seien später von der neuen Landesregierung freiwillig übernommen worden:

Simon sieht das sehr ähnlich. Die freien Dienstnehmer seien für den Bund „sehr praktisch.“ Man könne sie als Sachaufwand abrechnen und müsse nicht mit dem Bundeskanzleramt über neue Stellen verhandeln. „Gleichzeitig kann man dem Bürger so vorspielen, dass es einen Aufnahmestopp gibt und der Bund beim Personal spart.“
Leiharbeit

Bei der Leiharbeit überlässt der Dienstgeber die Arbeitskraft des Dienstnehmers vorübergehend einem Dritten. Diese Arbeitskräfteüberlassung bedarf der Zustimmung des Betroffenen. Der Überlasser muss eine Überlassungsmitteilung und eine Grundvereinbarung über die Tätigkeit ausstellen. Das Gehalt des Arbeitnehmers richtet sich nach dem Kollektivvertrag des Überlassers, nicht nach jenem des Dienstgebers, der seine Leistung in Anspruch nimmt. Überlässt also eine Leiharbeitsfirma mit niedrigerem Lohnniveau einer Firma mit höheren Gehältern ihre Arbeitnehmer, kann diese dadurch Kosten sparen.
Leiharbeiter
Um den Stellenplan künstlich schlank zu halten eigenen sich auch Leiharbeiter. Dabei kann es sich durchaus um Personen handeln, die unter ihrem Leihverhältnis nicht leiden. Beispielsweise kann eine staatsnahe ausgegliederte Firma Personal zu anständigen Konditionen an ein Ministerium verleasen. Andererseits beschäftigt die Bundesverwaltung aber auch Mitarbeiter von Leiharbeitsfirmen. Eine Praxis die im Falle der Privatwirtschaft häufig kritisiert wird. Das BMI etwa bezieht für seine Zentralstelle 28 Leiharbeiter von „Payroll“ für „Herausforderungen aus personeller Sicht“. 23 weitere arbeiten in der Sicherheitsakademie. Das Verteidigungsministerium beschäftigt nach eigenen Angaben ca. 50 Leiharbeiter vorwiegend als Programmierer, möchte sich zu deren Herkunft jedoch nicht äußern. Der Verfassungsgerichtshof wiederum bezieht eine „je nach Bedarf wechselnde Anzahl“ an Leiharbeitskräfte vom Personaldienstleister „Büroring“. Verkehrs- und Wirtschaftsministerium nennen keine Zahlen, versichern jedoch kein Personal von Leiharbeitsfirmen zu beziehen. Das Arbeitsministerium gibt schließlich an, 23 Leiharbeiter zu beschäftigen und diese großteils von staatsnahen Unternehmungen zu beziehen.
Auch die Bürger sind betroffen
Die Verwendung von prekär Beschäftigten im Staatsdienst kann auch Auswirkungen auf die Bürger haben. Wie rechtlich sicher kann etwa ein Bescheid sein, wenn er - wie im Fall von Sabine - von einer Verwaltungspraktikantin ausgestellt wird, die ja laut Gesetz „kein Dienstverhältnis“ mit dem Bund hat? Bei freien Dienstnehmern ist die Situation noch heikler: Wie wirkt es sich aus, wenn jemand ohne Dienst- oder Ausbildungsverhältnis mit der Republik für diese hoheitlich tätig wird? Nischelwitzer hierzu: „Letztlich könnten ja Klagen von Bürgern drohen, weil ja Gutachten, Bescheide etc. nicht von ordentlich beschäftigten Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen stammen.“
Mit zweierlei Maß
Um Personalkosten zu senken verfolgen Bundesstellen harte Sparkurse und schaffen atypische Beschäftigungsformen wie in der Privatwirtschaft üblich. Was den Bundesdienst jedoch von der Privatwirtschaft unterscheidet ist seine Aufgabe in der Vollziehung der Gesetze. Leitet sich daraus nicht auch die Verantwortung zu deren Befolgung ab?
Während im Wahlkampf das politische Mantra „Arbeit“ gebetsmühlenartig wiederholt wird, misst der Bund bei sich selbst mit einem anderen Maß. Dabei gibt es keine Garantie, dass seine Personalpolitik nicht irgendwann zu Kärntner Verhältnissen führt.

Dr. Martin Risak ist außerordentlicher Universitäts-Professor am Institut für Arbeits- und Sozialrecht der Universität Wien.
Recherche
Paroli begann seine Recherche mit der Versendung von Anfragen an die Zentralstellen der verschiedenen Ministerien, die Parlamentsdirektion und das BKA, später auch den Verfassungs- und Verwaltungsgerichtshof. Insgesamt wurden dabei knapp 60 Personen bzw. Mailkontaktadressen angeschrieben. Einige Ministerien antworteten prompt, andere wollten erst den Zweck unserer Recherchen erfahren oder antworteten überhaupt nicht. Viele sandten uns diverse parlamentarische Anfragebeantwortungen zu, die sich aber entweder nur auf Leiharbeitskräfte bezogen oder aber das als Sachaufwand abgerechnete Personal nicht näher differenzierten. Letztlich übermittelten jedoch beinahe alle Behörden aktuelle Zahlen, wobei sich das BMWF weiterhin auf eine Anfrage der Grünen aus dem Jahr 2012 berief und das BKA sich weigerte, genauere Auskünfte zu erteilen. Die Parlamentsdirektion legte, obwohl der Parlamentsdirektor und drei weitere Personen angeschrieben worden waren, ihre Zahlen erst offen, nachdem das Präsidium des Nationalrates mitbefasst worden war. In einem zweiten Schritt wandte sich paroli direkt an freie Dienstnehmer, Leiharbeiter und Verwaltungspraktikanten, wobei manche Kontakte auch durch die persönliche Betroffenheit eines der Mitautoren, Moritz Moser, zustande kamen. Andere prekär Beschäftigte konnten über die öffentlich zugänglichen Organigramme der Ministerien ermittelt werden, in denen sie entweder als Verwaltungspraktikanten oder ohne sonstige Zusätze (wie VB für Verwaltungsbedienstete) geführt wurden. Die Namen der Betroffenen, die bereit waren, uns ihre Erfahrungen mitzuteilen, wurden schließlich anonymisiert, um diese vor etwaigen Repressionen zu schützen. Etliche Betroffene, die von paroli kontaktiert wurden, waren jedoch unter Verweis auf die Angst vor Kündigungen oder Karriereproblemen nicht bereit, sich zu äußern.
Schließlich wurden über 40 Personal- und Gewerkschaftsvertreter in den betroffenen Behörden angeschrieben. Die einzige Antwort erhielten wir von einem Personalvertreter der Richter und Staatsanwälte, der uns bestätigte, in seinem Zuständigkeitsbereich kämen solche Beschäftigungsverhältnisse nicht vor. Trotz mehrfachem Nachfragen kam eine Stellungnahme der Personalvertretungen im Bundesdienst, des Bundes-ÖGB oder der GÖD nicht zustande. Lediglich Gernot Nischelwitzer von der Personalvertretung im Amt der Kärntner Landesregierung war bereit mit uns über seine Erfahrungen im Umgang mit prekären Beschäftigungsverhältnissen im öffentlichen Dienst zu sprechen. Anfängliche Unterstützung bei der Recherche durch Sarah Nägele (23).
Quellen
- Protokoll - Simon
- Protokoll - Bettina
- Protokoll - Sabine
- Protokoll - Mark
- Protokoll - Sophie
- Interview Dr. Martin Risak
- Interview Gernot Nischelwitzer
- Antwortschreiben - Alois Schittengruber, BKA
- Muster - freier Dienstvertrag
Dieser Artikel wurde im September 2013 auf paroli erstveröffentlicht.