Reportage

Unter Profilneurotikern

Ferdinand Urbach hat den Wiener Theaterbetrieb in allen Facetten erlebt. Dabei hielt er sich aber immer im Hintergrund. Heute ist er Geschäftsführer des Theater an der Gumpendorferstraße und weiß auch von den unschönen Seiten der Szene


An der Ecke zwischen der Gumpendorfer Straße und der Esterhazygasse im sechsten Wiener Gemeindebezirk hängt über einem an der schrägen Straße gelegenen Eingang eine große weiße Metall-Sonne. Die Sonnenstrahlen sind zugespitzt und sehen mit ihrer gelb-schwarzen Lackierung verwittert aus, dabei sind sie noch nicht einmal zehn Jahre alt. In Mitten der Sonne steht in roten Lettern „TAG“ geschrieben. Wir befinden uns vor dem Theater an der Gumpendorfer Straße, kurz TAG. Um die Ecke des Haupteingangs erreicht man das Stiegenhaus des Altbaus, in dessen zweiten Stock das Büro von Ferdinand Urbach liegt. Der 38-Jährige mit dem kurz gestutzten Bart ist Geschäftsführer des TAG und eines von sieben Gründungsmitgliedern der Wiener Mittelbühne. Bereits zum dritten Mal wurden dem Theater heuer die Förderungen der Stadt Wien zugesprochen, der Weg dahin war aber kein leichter, weder für das Theater noch für Urbach. 

Ferdinand Urbach ist mit Theater aufgewachsen. Sein Eltern waren beide geflüchtet, der Vater aus der DDR, die Mutter aus Schlesien, und lernten einander in Wien kennen. Vater Reinhard Urbach – ursprünglich Literaturwissenschaftler und Historiker – gründete Institutionen wie das Literarische Quartier in der Alten Schmiede und leitete schließlich das Theater der Jugend. In den Achtziger-Jahren war er außerdem Chefdramaturg am Wiener Burgtheater. Diese Zeit prägte Ferdinand Urbachs erste Eindrücke vom Theater. „Ich habe noch ganz viele Kindheitserinnerungen ans Burgtheater, ich bin da die Feststiege rauf und runter gerannt wie ein Gestörter“, erinnert er sich. Schauspieler wie Klaus Maria Brandauer sah er nicht nur auf der Bühne, sondern auch vor und nach der Vorstellung hinter der Bühne. In seiner Pubertät hat er sich zwar kurz vom Theater abgewandt, aber schon bald entdeckte er das Theater als mittlerweile junger Mann erneut für sich. 

Diese Begeisterung hat sich für Urbach bis heute gehalten. Die Unmittelbarkeit des Theaters bewegt ihn bis heute. „Ich bin sehr nah am Wasser gebaut“, sagt er, „ich fange jetzt nicht dauern an, zu heulen, aber wenn ich im Theater sitze, geht mir das richtig nahe, das ist ein ganz intensiver emotionaler Transfer und das ist der Grund, warum dieses Medium überlebt und warum mich das so kriegt.“ Nach der Matura begann Urbach sein Studium, jedoch nicht Theater, sondern Philosophie, was er als „Studium Generale“ ansah, wie er erklärt. Schließlich wollte er aber doch wieder zum Theater. Er wollte sich am Max-Reinhardt-Seminar für ein Regiestudium bewerben, traute sich dann aber nicht. „Ich habe mir gedacht, es ist zu riskant und habe wahrscheinlich auch Angst davor gehabt, abgelehnt zu werden.“ Bereut hat er die Entscheidung aber nicht. „Bereuen bringt nichts“, sagt er knapp. 

Es gibt in den Karrieren zur Regie schließlich mehrere Typen, wie Urbach erklärt: Die ausgebildeten Regieabsolventen, die Schauspieler, die irgendwann Regie machen und die, die den Weg über die Regie-Assistenz gehen. Urbach nahm den letzten Weg. Er bewarb sich um eine Hospitanz am Theater im Zentrum beim Regisseur Hans Escher, wurde angenommen und verdiente dort seine ersten Sporen. Er arbeitete von Anfang bis Ende bei einer Produktion mit, als die Regieassistentin krank wurde musste er auch noch ihre Position einnehmen und leitete schließlich auch die Publikumsdiskussionen. Dann ging es Schlag auf Schlag. Escher empfahl ihn weiter und so war Urbach ab 1995 über zwei Jahre hinweg Regieassistent in der Josefstadt, bei den Kammerspielen, am Rabenhof und arbeitete an mehren freien Projekten. Selbst zog es ihn nie auf die Bühne. „Den Drang, ins Rampenlicht zu kommen, den habe ich nicht, dazu habe ich viel zu viel Angst“, sagt er, wie er selbst meint, aus seiner „schüchternen Position heraus.“ Als Regieassistent lernte er die Branche dann aber auch von der unschönen Seite kennen. „Es gab natürlich auch die berühmten scheußlichen Erlebnisse mit bösen Regisseuren und g'schissenen Schauspielern“, sagt Urbach. In dem Beruf der Schauspielerei gebe es viele „Profilneurotiker“ und Wahnsinnige. „Dass du für das, was du da machst, so unmittelbar von Menschen geliebt wirst - da drehen einfach viele ziemlich ab.“ Der Regieassistent als schwächstes Glied in dem Arbeitsprozess komme da vielen gerade recht und würde „zur Sau gemacht“.

Vom L.U.S.Theater zum Roten Kreuz

Doch bald war Urbach nicht mehr das schwächste Glied. 1997 lernte er seine heutige Frau Margit Mezgolich kennen. Mezgolich arbeitete damals als Schauspielerin und war damit unzufrieden, also schrieb sie ihre ersten Stücke. Als sich Urbach und Mezgolich bei einer Produktion trafen bot sie ihm einen Text an. Sie versuchten die Zusammenarbeit und gründeten das L.U.S.Theater, ein Name der sie Lust ausdrücken sollte, die in der Arbeit steckt. Mit dem L.U.S.Theater bekamen sie auch schon für ihr erstes Projekt „Weibsbilder“ eine Förderung und konnten das Stück im Theater Drachengasse aufführen. Die Zusammenarbeit entwickelte sich gut und das L.U.S.Theater führte mehrere Produktionen im dietheater, dem heutigen brut, auf, bekam gute Presse und wurde vom Publikum überrannt, erinnert sich Urbach. „Das war eine sehr gute Zeit, da waren wir auch sehr erfolgsverwöhnt.“ Der Erfolg bedeutete aber noch lange keine finanzielle Sicherheit, lediglich die ein, zwei Produktionen pro Jahr habe man so realisieren können. Für Urbach stellte sich Ende der Neunziger immer mehr die Frage, wie es weitergehen soll. Zu diesem Zeitpunkt wurde er auch Zivildiener im Generalsekretariat des Roten Kreuz in Wien. Er nahm diese Zeit für sich selbst als Timeout vom Theater und konzentrierte sich auf seine Arbeit in der dortigen Marketing- und Kommunikationsabteilung der Hilfsorganisation. 

Im Laufe des Jahres, das er als Zivildiener ableistete, bekam er einen tiefen Einblick in die Kommunikationsstrukturen des Non-Profit-Unternehmens, unter anderem deren „in einem grauenhaften Zustand befindliche Website“. Und er sprach auch aus, woran es krankte. „Ich habe denen gesagt: Das Thema New Media muss professionell betreut werden, so geht das nicht!“ Im Paket mit einem Konzept für Online-Kommunikation übergab er seinem Vorgesetzten dann auch gleichzeitig eine Bewerbung für die Stelle, die er sich somit selbst geschaffen hatte. Er bekam den Job und blieb bis 2006 an der Stelle, doch im Hintergrund sehnte er sich nach einer anderen Welt, es habe in ihm gebrannt, wie er sagt. Die Chance, diese Flamme wieder zu entfachen, kam im Jahr 2004. Ein Jahr zuvor wurde die Wiener Theaterszene kräftig aufgewirbelt. Im Auftrag des Kulturstadtrates Andreas Maillath-Pokorny sollte die freie Theaterszene in Wien gestärkt werden. Damit einhergehend gab es eine Ausschreibung um Förderungen über längere Zeiträume, eine Jury sollte darauf basierend Empfehlungen abgeben, entscheiden würde aber im Endeffekt die Politik. „Da ist auf einmal in diese Wiener Szene eine totale Dynamik reingekommen, auch sehr angstgesteuert wahrscheinlich, weil man nicht wusste: Was passiert da jetzt?“, erinnert sich Urbach. Christian Pronay war zu dieser Zeit Leiter des dietheater, damals der Heimstätte des freien Wiener Theaters, und wollte eine kollektive Einreichung mit allen Kooperationspartnern versuchen. Auch das L.U.S.Theater sollte dabei sein. 

Doch Urbach und Mezgolich glaubten nicht an Pronays Idee, viel zu groß wäre das Team gewesen. Sie schlossen sich also mit den zwei anderen freien Gruppen Kinetis und urtheater zusammen und reichten als Team von sieben Leuten ein. Nach der Einreichung waren sie recht defensiv. „Wir haben gedacht: Mal schauen, lieber nicht zu sehr jetzt freuen und lieber nicht zu große Erwartungen hegen, wahrscheinlich wird’s eh nix“, beschreibt Urbach die Stimmung. Doch es kam anders. Die Jury lud das Team zu einem Hearing ein und fragte sie, ob sie bereit wären, ihr vorgeschlagenes Konzept an einem eigenen Theaterhaus zu realisieren. „Wir waren total baff, was da gerade passiert. Das war so wie am Theaterbuffet“, sagt Urbach. Irgendwann kam im Gespräch die Frage auf, ob sich Urbach und seine Kolleginnen und Kollegen vorstellen könnten, das alte Haus der Gruppe 80 in der Gumpendorfer Straße zu übernehmen. Sie zögerten nicht lange und ergriffen mit „Theater an der Gumpendorfer Straße“ einen naheliegenden Namen. 

Die letzte Phase

Als das Theater 2006 eröffnet wurde, legte Urbach endgültig seine Position beim Roten Kreuz nieder. Aber damit war noch lange nicht alles eitel Wonne. „Wir haben gleich vom ersten Tag an viele Fehler gemacht“, sagt Urbach heute über die Anfänge des Theaters. Nicht zuletzt die Organisation führte zu Problemen. „Das war ja überhaupt der Overkill! Wir waren zu siebent in der künstlerischen Leitung und drei von uns, aus jeder Gruppe einer, in der operativen Leitung.“ Diese ungewöhnlich große Organisationsstruktur war zu schwammig, die Zusammenarbeit entpuppte sich als schwierig und auch die Presse war nicht zufrieden. Schließlich schieden die zwei Theatermacher von Kinetis aus dem TAG aus, im Anschluss verließ Urbach die künstlerische Leitung und wollte die Geschäftsführung für sich allein haben, „Gefangenenaustausch“ nennt er das heute. Dass eine Hierarchie auch etwas Gutes sein kann, musste er erst lernen, wie er sagt. Schließlich wurde Mezgolich im Jahr 2009 alleinige künstlerische Leiterin. Damit war eine Struktur geschaffen, die produktiv arbeiten konnte und von dem Zeitpunkt an wurde auch die Presse besser, der Kurier kürte das Theater gar zur interessantesten Off-Bühne Wiens. Urbach sieht seinen Teil am Erfolg aber bescheiden. „Das Marketing kann letztlich immer nur so gut sein wie das Produkt. Du kannst nicht Scheiße in Goldpapier einpacken und die Leute fressen es trotzdem.“ Er sieht seinen Anteil eher darin, dass er für die Schauspieler und Regisseure einen Arbeitsplatz schafft, an dem die Leute gerne arbeiten.

Bis 2017 ist das TAG nun wieder finanziert, Urbach sieht das als „letzte Phase“ seiner Arbeit am TAG. Nicht, weil er nicht mehr will oder es ihm nicht mehr gefällt, ein solches Projekt habe einfach ein Ablaufdatum, meint er. „Man ist es der nächsten Generation schuldig, weiterzuziehen und so hätte ich das auch gern von der Stadt: Dass sie das Erbe anerkennt, dass dieses Haus ein Sprechtheater-Haus bleibt und dass es offen ist für etwas aus Wien heraus Gewachsenes.“ Denn das hätte auch die Theater-Reform nicht geschafft: Die gläsernen Decken zu durchstoßen, die es großteils verhindern, das junge Theatermacher Häuser übernehmen und die Alten ablösen.

Generell sieht Urbach starke Versäumnisse in der Kulturpolitik. „Das eigentliche Credo der Kulturpolitik des letzten Jahrzehnts war: 'Ganz oder gar nicht. Wir schaffen das Prekariat ab'“ Genau das passiere aber nicht, denn dazu müsste man die Förderungen massiv erhöhen und das bedeute entweder mehr Geld aus den Budgets in die Kultur zu holen, oder einzelne Posten zu streichen. „Zu sagen: 'Ich fördere jetzt nicht mehr Euch fünf, sondern nur noch Dich!'“, wie Urbach meint. Trotz der schwierigen Situation will er sich nicht auf seiner jetzigen Position ausruhen. Urbach möchte selbst sein Ende am TAG bestimmten, nur eines möchte er nicht: Picken bleiben. „Wenn man jetzt wirklich über Jahrzehnte an einem Ort sein Ding macht, dann läuft sich das tot. Es braucht diese Erneuerung, glaube ich. Vielleicht sehe ich es in drei Jahren anders, aber ich versuche zumindest, mich davor zu hüten. Weil dann sitzen wir genauso 30 Jahre hier drinnen und finden es immer noch geil, selbst wenn da draußen alle schon sagen: „Naja, jetzt ist es aber schon langsam ein bisschen genug.“ Da geht Urbach dann lieber in ein neues Projekt, was auch immer das sein wird.


Zur Person

Ferdinand Urbach ist schon seit langem in der freien Wiener Theaterszene tätig, er ist Mitbegründer des Theater an der Gumpendorfer Straße (TAG) und heute dessen alleiniger Geschäftsführer.

  • (c) Irene Petzwinkler