Interview
"Die Fähigkeit zu analysieren ist keine Stärke des heimischen Sportjournalismus"
Gerald Gossmann, Verfasser der Kolumne "Qualitätsjournalismus für Qualitätsfußball", spricht mit paroli über die schlechte Berichterstattung der Tageszeitung "Österreich" zu Marcel Koller, Gefälligkeitsjournalismus, und darüber, dass innerhalb des Ressorts ein großes Umdenken stattfinden muss
Sie führen die Kolumne "Qualitätsjournalismus für Qualitätsfußball". Inwieweit bedingt das eine das andere?
Es ist sicher so, dass kritischer Journalismus für die Qualität des Fußballs eines Landes wichtig ist. Wenn es keine kritische Instanz, zu der Szene, die man beobachtet, gibt, kann sich diese auch schwieriger weiterentwickeln. In Österreich geht es immer noch zu sehr um Gefälligkeiten. Man tut einander nicht weh. Der Status Quo sieht so aus, dass es zu sehr um exklusive Informationen geht. Wer hat zuerst die Schlagzeile? Wer vermeldet zuerst einen Transfer? Dadurch kommt man aber in Abhängigkeiten. Man muss zu Funktionären nett sein, damit man eine Info zuerst bekommt. Diese Vorgehensweise liegt in der Natur des Boulevards. Das ist in jedem Land so. Bei uns fehlt aber der Gegenpol, den nur der Qualitätsjournalismus darstellen kann.
Wo konkret äußert sich das?
Ein gutes Beispiel war die Causa um die Admira. Dort haben Sponsorenvertreter und eine Gruppe an einflussreichen Herrn sportliche Entscheidungen getroffen, weil sie dem Verein in Aussicht stellten, ihn finanziell zu unterstützen oder zu übernehmen. Sie haben dann in ihrer nicht definierten Rolle Toni Polster als Trainer geholt. Das wäre ein Thema gewesen, das Qualitätszeitungen damals über die bloße Meldung hinaus hätten aufgreifen können. Sogar müssen. Ich habe aber nur Einspalter dazu gelesen. Groß berichtet wurde zu diesem Zeitpunkt übers Wiener Derby, es gab vorwiegend Interviews mit Spielern von Rapid und Austria. Weil man annimmt, dass das besser zieht. Aber es ist nicht Aufgabe von Zeitungen, die sich gerne als Qualitätszeitungen bezeichnen, Gusto auf das Produkt Fußball zu machen oder Stimmungen hinterher zu schreiben.
Können Medien den Fußball eines Landes verändern?
Ich bin davon überzeugt, dass guter, kritischer Journalismus auch den Fußball verändern kann. Denn ohne kritische Instanz in Form kritischer Journalisten besteht ja keine Möglichkeit zur Weiterentwicklung für das Produkt „Österreichischer Fußball“ an sich. Dann braten alle im eigenen Saft. Wie es auch oft noch praktiziert wird. Dadurch entwickeln sich aber beide Pole nicht weiter. Man darf sich nicht davor fürchten, dass man das Produkt über das man berichtet, beschädigt, wenn man es immer wieder kritisiert. Ich habe die Erfahrung gemacht: Das Produkt wird dadurch nicht schwächer. Ganz im Gegenteil.
Gibt es für die Veränderung in der Fußballlandschaft durch kritischen Journalismus auch konkrete Beispiele?
Also ich kann mich nicht daran erinnern, dass vor der Ära Constantini (Anm. Dietmar) als Teamchef ein breites Verständnis für die Bedeutung von Taktik vorhanden war. Nicht in der Bevölkerung. Auch bei vielen Vereinen nicht. Vor allem im Internet haben Taktikblogs und kritische Portale Meinungsbildung in sehr journalistischem Sinne betrieben und Widersprüche aufgezeigt. Da wurde die eigentliche Aufgabe der Sportjournalisten deutlich gemacht – nämlich eine kritische Instanz zu sein, zu dem Produkt, über das man berichtet. Und ich glaube fest, dass es heute dadurch eine andere Situation gibt. Es ist für Vereine schwieriger geworden, fragwürdige Entscheidungen einfach so zu treffen. Und auch Journalisten können nicht mehr so leicht kritiklos agieren, weil, durch den Blick auf eine ganze Szene, auch sie unter Beobachtung stehen. Das tut dem Produkt „Fußball“ insgesamt gut. Auch wenn die Auswirkungen noch lange nicht in dem Maße spürbar sind, wie es sein sollte.
Auch die enge Beziehung zwischen Zeitung und Verein ist ein Problem.
Es wird immer betont, dass es für Zeitungen wirtschaftlich notwendig ist. Aber das ist der Tod jedes ernsthaften Journalismus. Ich kann nicht auf der einen Seite sagen, dass ich ein Qualitätsmedium sein möchte, und auf der anderen unterstütze ich finanziell einen Verein, über den ich noch dazu berichte. Dass das nicht harmoniert ist klar.
Die Tageszeitung "Österreich" machte jüngst durch die schlechte Berichterstattung über Marcel Koller Negativschlagzeilen. Wie haben Sie das vernommen?
Bei der Berichterstattung der Tageszeitung "Österreich" über Marcel Koller liefen zwei Dinge gravierend hinterfragenswert. Erstens haben sie frühzeitig etwas vermeldet, das nachträglich nicht gestimmt hat. Und da spekuliert man natürlich, ob es sich nur um eine Vermutung gehandelt hat. Dazu hat es stark nach dem Startschuss einer Kampagne gerochen. Frei nach dem Motto: "Jetzt schießen wir den Koller ab, der ist ziemlich sicher weg". Vielleicht hat man sich da zu sehr darauf verlassen, was Schweizer Journalisten vermutet haben. Aber so geht es natürlich nicht. Da werden Kampagnen gestartet, die die Leute vielleicht als solche zunächst gar nicht erkennen. Die schlagen in der U-Bahn die Zeitung auf und lesen von Marcel Koller, dem geldgierigen Schweizer ohne Charakter. Da wollte man ganz bewusst eine Stimmung erzeugen und hat dabei ganz klar Grenzen überschritten.
Ich kann nicht argumentationslos Koller einen Verräter nennen und Herzog (Anm. Andreas) den richtigen Teamchef mit Charakter. Meinung gehört argumentiert. Kampagnen wie diese haben immer Hintergründe und die gehören dem Leser auch erklärt. Durch Herzog würden Insiderinformationen schneller in die Redaktionen fließen. Man kennt sich seit Spielerzeiten Herzogs. Koller ist mit Infos für Auserwählte weniger freizügig. De facto ist es ein Vorteil, wenn du jemanden kennst, der dich mit Informationen versorgt. Das hat „Österreich“ zuletzt bei Toni Polster als Admira-Trainer gezeigt. Polster ist dort Kolumnist, also hatte „Österreich“ auch alle Informationen zuerst. Es ist schon auch Aufgabe von Qualitätszeitungen, dem Leser solche Hintergründe aufzuzeigen.
Haben die Berichterstatter Angst vor dem Unbekannten, Angst davor, dass sich eine Informationsquelle schließt?
Gesehen hat man das bei Peter Hyballa. Es hat während seiner Amtszeit bei Sturm Graz sicherlich einiges nicht gepasst, aber trotzdem muss aufgezeigt werden, dass die Medien sehr einseitig berichtet haben, weil die Informationsquelle zu war. Und das stört die etablierten Journalisten. Das ist ein großes Problem, denn die Berichterstattung ist dann nicht mehr objektiv. Es wird dadurch ein Bild vermittelt, das nicht der Wahrheit entspricht, sondern von persönlichen Befindlichkeiten der Journalisten getragen ist. Sie sind zornig, sie bekommen ihre Informationen nicht mehr, und schreiben daher gegen den Mann, der die exklusive Information verweigert. Der Leser wird dadurch bewusst falsch informiert. Und da braucht es dann auch Journalisten, die dem Leser erklären, wie es zu so mancher Berichterstattung kommt.
Wie sollte der Journalist am besten agieren?
Wenn ich an einem Artikel arbeite, greife ich auch auf meine Quellen zurück, aber immer auf einer seriösen Basis. Wenn mir die jeweilige Person die Informationen nicht geben möchte, dann soll es so sein. Ich frage nach, und diese soll mir sagen, was sie mir sagen möchte. Aber auf keiner freundschaftlichen, sondern beruflichen Basis. Die Funktionäre wissen, dass sie ein bisschen nett zu einem sein müssen, damit man ihnen nicht wehtut. Dieses Gegengeschäft wird in der Praxis viel zu oft gelebt.
Teilen Sie die Meinung, dass Österreichs Fußball in den Medien eher als Subkultur rangiert?
Das rührt daher, dass die Medienmacher und Chefredakteure großer Zeitungen zum Teil keine Ahnung von Fußball haben. Es fällt mir zumindest keiner ein, der ein absoluter Fachmann im Fußball ist. Und das wirkt sich dann auch auf die Bedeutung des Sportressorts aus.
Ich habe vor kurzem ein Zitat von Oscar Bronner gelesen. Er hat dort gesagt, dass die Höhe der Presseförderung nach Qualität und nicht nach Auflage gehen sollte. Wie man Qualität denn definieren könne, erläuterte er so: "Eine Zeitung mit Schwerpunkt auf den Ressorts Außenpolitik, Kultur oder Wirtschaft verkauft sich nicht so leicht wie eine mit Schwerpunkt auf Sport und Chronik." Er muss es gar nicht bewusst so gemeint haben, aber dieser Satz ist sehr aussagekräftig. Es soll heißen, Sport und Chronik sind für den Journalismus nicht besonders wichtig. Und der Rest ist das Hochwertige, das macht eine Qualitätszeitung aus.
Dabei verbirgt sich hinter dem Sport weit mehr.
Der Sport hat eine sehr intellektuelle Dimension bekommen. Auch der Fußball. In Deutschland etwa bietet die Qualitätszeitung 'Zeit' eine eigene Fußball-Seite an. Jetzt kann man sagen, dass der Fußball in Deutschland eine andere Wertigkeit inne hat, aber ich glaube, dass das auch in Österreich durchaus möglich wäre und gefordert wird. Im Internet sieht man, welche Zugriffe man mit kritischem Sportjournalismus bekommen kann.
Ich verstehe viele Zeitungsmacher da nicht ganz. Man liest in der Zeitung - auch in guten - am nächsten Tag das Gleiche, was man am Vortag bereits im Internet gelesen hat. Die Zeitungen, die sich als Qualitätsmedium verstehen, müssen irgendwann einmal umdenken und sich darüber klar werden, wie sie in Zukunft über den Sport berichten wollen. Statt mit dem Boulevard um Informationen aus erster Hand zu rittern, sollten Qualitätsmedien viel mehr Analyse bieten. Da wird immer über das mögliche Aussterben der Zeitung gejammert, weil im Internet die gleichen Inhalte schneller abrufbar sind. Aber dann darf ich nicht nur auf Meldungen und auf berichtende Elemente setzen. Eine Zeitung kann sich im Internet-Zeitalter nur abheben, wenn sie Analyse und eigenrecherchierte Texte bietet.
Und das erkennen die Medienmacher in diesem Bereich nicht. Sie erkennen das Sport-Ressort nicht als eines mit Potenzial an. Der Sport wird im heimischen Journalismus verwaltet und nicht gestaltet. Das Meinungsmachen wird dem Boulevard überlassen.
Sehen Sie noch weitere Probleme?
Viele Journalisten geben sich zu schnell zufrieden, recherchieren nicht weiter oder haken in Interviews nicht nach. Ich verstehe beispielsweise den Österreichischen Fußballbund (ÖFB). Er gibt eine Pressekonferenz, weil es gefordert wird, es gehört zum guten Ton, es muss sein. Aber: Der ÖFB will ja die Vereine nicht nur aus gutem Willen mit Informationen versorgen, sondern es ist auch eine Möglichkeit kontrollierte und unterschwellige PR zu transportieren. In der Hoffnung, dass die gleichförmigen Aussagen übernommen und Eigenrecherchen weggelassen werden. Die Zeitungsseiten sind ja ohnehin gefüllt. Wieso soll ich mir aber als Leser die Zeitung kaufen, in der das steht, was in allen anderen auch steht und ich noch dazu am Vortag im Internet gratis lesen konnte?
Nun umgekehrt: Wie viel Aufklärung verträgt ein Land?
Erkannt habe ich das beim ersten größeren Trainingslager von Marcel Koller beim ÖFB. Ich war damals vor Ort und habe darüber berichtet. Damals war eine große Euphorie um Marcel Koller. Ich habe dann in einer Detailanalyse geschrieben, dass einige Punkte noch nicht so funktionieren. Aber das wollten die Leute nicht hören. Sie wollten zu dem Zeitpunkt hören, dass Marcel Koller super ist und man solle ihn doch bitte nicht gleich wieder kritisieren. Es ist für mich daher auch nachvollziehbar, dass manche Medien ausschließlich nach Stimmungslagen in der Bevölkerung berichten. Hans Dichand hat einmal gesagt: „Wir schreiben dem Leser nicht nach dem Mund. Wir dürfen ihm aber auch nicht mehr als eine Nasenlänge voraus sein. Sonst verlieren wir ihn." Damit dürfte er nicht unrecht gehabt haben.
Sehen Sie sich als Sportjournalist?
Das hat mich auch einmal ein Kollege einer größeren Zeitung gefragt. Er hat nicht verstanden, warum ich auch andere Medien und somit Kollegen kritisiere. Es soll da ein unausgesprochenes Gesetz geben, das Kritik innerhalb einer Berufsgemeinschaft untersagt. Aber in einem Falle wie jetzt, wo „Österreich“ ganz klar Grenzen der Berichterstattung überschritten hat, ist es wichtig, dass jemand die Hintergründe so einer Berichterstattung aufzeigt. Ich kann ja nicht sagen, Marcel Koller ist ein Schweizer, geldgierig und hat keinen Charakter. Und Andreas Herzog ist super, ohne ein Argument dranzusetzen. Als Journalist hat man die Pflicht, seine Meinung zu argumentieren. Ansonsten ist das kein Journalismus.
Aber ich habe es interessant gefunden, dass mir vorgeworfen wurde, kein Journalist zu sein, weil ich Kollegen kritisiere und die Berufsgruppe kritisch beobachte, zu der ich mich selbst zähle. Aber so wie es noch immer läuft kann ich den Sportjournalismus von der Beobachtung der Fußballszene nicht ausklammern, weil die beiden nicht klar getrennt voneinander agieren. Ich kann nur sagen: Wenn mich meine kritische und immer argumentierte Herangehensweise zum Nicht-Journalisten macht, dann sollten einige die Funktion und ursprüngliche Definition ihres Berufsstandes einmal überprüfen.
Was hat den Kollegen damals konkret gestört?
Den Kollegen hat damals gestört, dass ich die Analyseunfähigkeit einiger Journalisten kritisiert habe. Der Hintergrund dazu war: Einige Journalisten analysierten unter Vastic (Anm. Ivica), dass die Austria einen zu schwachen Kader hätte und unter Stöger (Anm. Peter), dass dieser auf einen Luxuskader zurückgreifen könne. Der Kader war aber bis auf Hosiner (Anm. Philipp) der gleiche. Da verkauft man den Leser ja für blöd.
Wie würden Sie Ihre Rolle im Sportjournalismus beschreiben?
Es ist auf jeden Fall keine unnatürliche. Ich und auch einige meiner Kollegen nehmen ganz einfach eine kritische Haltung gegenüber dem, über das wir berichten ein.
Könnten Sie im Tagesgeschäft bei einer Zeitung ähnlich kritisch sein?
Wenn Zeitungen, die sich gerne als Qualitätsblätter sehen, ihrem Auftrag auch gerecht werden wollen, dann dürfen wirtschaftliche Verflechtungen keine Rolle spielen. Viele Journalisten von Tageszeitungen sagen: Uns fehlt der Platz, um dem Leser den Fußball hintergründig zu erklären. Auf der anderen Seite findet sich dann am nächsten Tag eine Doppelseite über das Wiener-Derby darin. Der Sportjournalismus hätte ein großes Potenzial. Die Zeitungen, die sich als Qualitätszeitungen verstehen, müssen umdenken. So lange Journalisten dazu angehalten werden, Transferinfos als erste zu haben, werden sie mit den Funktionären kein korrektes berufliches Verhältnis eingehen. Es geht nicht darum, zuerst zu vermelden, dass Rapid einen Griechen holt. Das kann ich sofort im Internet lesen. Dadurch macht sich eine Zeitung nicht unverwechselbar. Sondern es geht darum, dem Leser Einordnung der vielen Informationen zu bieten. Bei uns wird zu einem überwiegenden Prozentsatz aber nur berichtet: Das sagt Spieler A, das sagt Spieler B, das sagt der Trainer. Aber was sagt mir das als Leser? Und da spießt es sich: Die Fähigkeit zu analysieren ist keine Stärke des heimischen Sportjournalismus.
Zur Person:
Gerald Gossmann ist stellvertretender Chefredakteur der burgenländischen Tageszeitung martinus und Verfasser der Kolumne "Qualitätsjournalismus für Qualitätsfußball" des Fußball-Portals 90minuten.at.
- (c) Gerald Gossmann