Paroli
Unser persönliches "Kopf oder Zahl"
Für unsere Webdoku „Kopf oder Zahl“ waren wir den ganzen Sommer in Europa unterwegs und haben unzählige Menschen getroffen. Manche Orte und Personen sind uns besonders in Erinnerung geblieben. Welche das waren und warum das so ist, erzählen wir euch hier.
Tanzend durch die Nacht
Plötzlich stehen wir in Zarautz vor einer Bühne. Mit uns etwa 1000 junge Menschen. Alle tragen die typische Tracht des Baskenlandes. Die Frauen weite Röcke und die Männer weiße Hemden und Halstücher. Die Bands spielen Volkslieder und Rocksongs – alle auf baskisch. Und alle singen mit, jeder kann jeden Text. Zu jedem Lied gibt es auch einen eigenen Tanz, allein, als Paar oder in der Gruppe. Die Schrittfolgen sind atemberaubend schnell und wir versuchen mitzuhalten. Die Stimmung ist unglaublich: wenn bei traurigen Liedern alle im Chor mitsingen, kommen mir fast die Tränen, obwohl ich den Text nicht verstehe. Bei den schwungvollen Stücken liegen sich alle in den Armen – egal ob man sich kennt oder nicht. Für einen Abend bringt die Musik alle zusammen. Alle feiern ausgelassen, was sie verbindet: Das Baskenland. Am Morgen gehen alle wieder ihrer Wege.
Florian Stambula
- Lukas, Florian und Harald bei einem Volksfest in Zarautz.
Laibach im Rausch
Gerade in Laibach angekommen und verwundert, warum überall abgetragene Schuhe vom Himmel hängen, führen wir die ersten Interviews und merken, der Zeitplan ist straff, der morgige Tag wird verdammt hart. Zu diesem Zeitpunkt war mir noch nicht klar, wie hart der nächste Tag wirklich werden wird, nicht einmal nach der ungemütlichen Nacht, die mich schon ein klein bisschen von meinem Schicksal erahnen ließ, aber der Mensch will es nicht wahrhaben, erst wenn sie da ist, die totale Krankheit, in all ihrer Hässlichkeit und Unverwundbarkeit: fast 40 Grad Fieber und wildes Treiben in der Magengegend. Während Johanna und Manuela also enorm viel Spaß beim Arbeiten hatten, habe ich aus dem Hostel ausgecheckt und im komfortableren Hotel nebenan eingecheckt, denn ein eigenes Zimmer samt eigener Toilette war äußerst notwendig. Und da bin ich gelegen, habe gelitten, geschwitzt, ge***, 24 Stunden lang. Das Hotelpersonal hat sich vermutlich gefragt, was mit der jungen Frau los ist, die um zehn Uhr morgens komplett verschwitzt, bleich und schwindelig ankam, sich einen Tag und eine Nacht lang verschanzte, alles komplett verdunkelte, nicht zum Essen erschien. After Hour mal allein? Egal. Achja. In Venedig waren wir auch.
Yvonne Widler
- Yvonne, Manuela und Johanna waren in Slowenien und Italien unterwegs.
Ihr Name war Solveigh
Sarah, Hans und meine Wenigkeit, Jan, waren gerade erst in Hamburg angekommen, als wir in einem Café in der Innenstadt Halt machten. Es sah von außen etwas schäbig aus und passte so gar nicht in das umliegende, noble Stadtbild, was es für uns umso interessanter erscheinen ließ. Als wir uns durch die schmale Tür zwängten, hatten uns die stechend blauen Augen einer jungen Frau im Visier, die hinter dem Tresen stand. „Grüß Gott“, stammelten wir im Chor. „Ihr seid aus Österreich, richtig?“, fragte sie, während sie Milch aufschäumt. Wir nickten synchron. „Das hört man sofort“, sagt sie lächelnd und fragt uns, was uns denn ins kalte Hamburg geführt hat. „Eine Dokumentation über junge Menschen in Europa“, entgegnen wir. Ihr Name war Solveigh. Und sie wurde Teil dieser Geschichte.
Jan Michael Marchart
- Auf Solveigh treffen wir in ihrem Lieblings-Café in Hamburg.
Geh doch nach Berlin
Berlin Kreuzberg. Ein lauer Septembertag, die Straßen und Cafés sind vollgestopft. Ausgelassene Gesichter, Kinder hinter einem Flohmarktstand wollen mit uns um den Preis für ihre Spielsachen feilschen. Jan und ich landen in einer Galerie, ein Künstler fertigt gerade eine Skulptur an, wir dürfen zuschauen und ein bisschen filmen. Schnell entbrennt eine Diskussion über Arbeit, alternative Wohnkonzepte und die verdammte Gentrifizierung- what else... Er ereifert sich richtig und vergisst beinahe seine Kunst. Die zwei jungen Italiener in der Pizzeria zwei Straßen weiter schwärmen vom Leben in der Stadt der tausend Möglichkeiten. Wir überqueren noch einen Flohmarkt, noch größer, noch mehr Menschen und vor allem viel Musik. Sei es der Dj, der an seinen Plattentellern schraubt, die Balkanband, die unseren Weg kreuzt, oder ein Multiinstrumentalist, der vom Didgeridoo bis zur Trommel eigentlich alles kann - die Stadt ist bunt, überfüllt, sie treibt und lärmt und lebt vor allem ganz schön.
Sarah Nägele
- Straßenmusikanten treffen wir an der Berliner Mauer.
„I tell you, Sweden is going to Brazil!“
Im Stockholmer Vorort Solna, im Norden der Stadt, schießt Zlatan das 2:1 für die schwedische Nationalmannschaft im WM-Qualifikationsmatch gegen Portugal. Lukas und ich sitzen in einem Wohnzimmer in Bandhagen, im Süden von Stockholm und essen Burger. Unsere Gastgeber Joana und Markus kennen wir seit dem Vortag. Sie ist aus Brasilien und Markus echter Schwede. Kennen gelernt haben sie sich in Las Vegas. Sie sind sich sicher, Markus’ Mannschaft bei der Weltmeisterschaft in Joanas Heimatland spielen sehen zu können. Sieben Minuten später schaut die Welt in Schweden allerdings schon wieder ganz anders aus. Cristiano Ronaldo macht seinen zweiten und dritten Treffer in dem Match und Joana und Markus beschimpfen den Torschützen auf Portugiesisch.
Harald Triebnig
- Mit Markus und Joana durchlitten wir 90 entscheidende Minuten.