Istanbul

Prolog

Ich möchte in meinem Blog nicht berichten, wie ich im Hamam war, auf irgendwelchen Basaren verhandelt habe, mir einen Schal gekauft habe, um in die Moschee zu gehen. Eher wie es ist, als Frau alleine nachts nach Hause zu gehen - in einer Gegend, in der es abends nur Männer zu geben scheint. Ich möchte herausfinden, wie es ist, hier zu leben.


In Istanbul

In Istanbul tragen die Menschen Brezen auf ihren Köpfen herum. Ihre Brezen heißen Simit und sind Weizenmehlkringel mit Sesam bedeckt.

In Istanbul wird nicht gebohrt, wenn der Muezzin zum Gebet einlädt. Mit geduldig ungeduldigem Blick auf die Moschee wird gewartet, bis der Ruf verhallt.

In Istanbul fressen die Möwen den Katzen das Futter weg. Hunde werden nicht gefüttert.

In Istanbul regnet es ununterbrochen. Seit ich da bin.

In Istanbul gibt es keinen Sound. Auch nicht bei Überqueren der Brücke.

In Istanbul mischt sich das Hupen der Autos mit dem Prasseln des Regens. Tausende Füße, die durch Wasserrinnsale patschen und nasse Rockzipfel, die den Boden der Metro wischen.

In Istanbul ist es nicht immer schön. Nur wenn die Sonne scheint.

In Istanbul haben die syrischen Kinder kaum etwas zum Anziehen. Ein Junge von etwa neun Jahren stolpert in alten Damenpumps und fällt in eine Pfütze. Er schaut beschämt weg, als ich erst auf seine Füße und dann in seine Augen blicke. Er hält sich eine Zeitung, die ihn eigentlich vor dem Regen schützen sollte, vors Gesicht.

  • (c) Gökhan Ender Orel

Angekommen?

In meinem muffelig-verschimmelten Zimmer in Mecidiyeköy sitzend, kann ich nun endlich entspannen und es mir gemütlich machen. Einen weiten und vor allem langen Weg musste ich hierfür jedoch zurücklegen. 

In der Maschine von München nach Istanbul: zwei Stunden in der Luft, machte der Captain eine Durchsage auf Türkisch, von der ich kaum mehr als „Antalya“ heraushörte. Meine Sitznachbarin übersetzte mir schließlich das soeben gesagte: wir würden aufgrund des starken Nebels in Istanbul in Antalya - was im Süden der Türkei einige hundert Kilometer von Istanbul entfernt liegt – landen. Plötzlich war das Angedudeltsein des Flugzeugweißweins wieder verschwunden.

All inclusive Antalya

Wir landeten also. Jeder Passagier zückte ein bis zwei Handys: Die Lautstärke türkischer Telefonate bestimmte die Entfernung der Gesprächspartner. Das erklärte mir meine Nachbarin, eine Türkeikennerin. Mit ihr und ihren beiden Söhnen stand ich die drei Stunden Wartezeit im Transferbereich (kein Essen, kein Trinken, auf Anordnung der Security Rauchen auf der Toilette) dennoch unbeschadet durch. Es folgten weitere kürzere Warteaufenthalte bei der „immigration“ und der Gepäckausgabe. Schließlich wurden wir in Busse gesetzt, deren Busfahrer nicht wussten, wo sie hinfuhren. Im „Green Palace“, einem Hotel, das mich an das Plaza in Kevin allein in New York erinnerte, erwartete uns eine, die Rezeption stürmende Meute. Da ich glücklicherweise die drei Worte „inclusive“, „Bar“ und „all“ in der richtigen Reihenfolge vernahm, war der Abend gerettet. Bis wir auf unseren Zimmern waren, war es 1 Uhr nachts und als es um 2 Uhr hieß, um 5 kämen die Busse in Richtung Flughafen, wurde ein kurzes Nickerchen eingelegt.

Gel! Gel!

11.30 Uhr vormittags sitze ich am Taksim Platz bei 20 Grad und Sonnenschein. „Woher kommst du?...es steht auf deiner Stirn geschrieben, dass du Deutsche bist... hast du einen Freund... ist er Türke... der Glückliche!“ und andere kürzere Konversationen versüßen mir das Warten auf niemanden. Um zehn Uhr hätte ich im Institut meinen ersten Praktikumstag beginnen sollen. Nach mehrfachen Nachfragen erfahre ich letztlich den Weg zum Institut, der dritte Taxifahrer, den ich frage, nimmt mich zum Glück mit. Er erzählt mir Dinge - ich verstehe nur güzel und reihe in meinem zwei Semester jungen Türkisch ein Paar Worte aneinander, die ihn herzhaft zum Lachen bringen. Er kennt den Weg nicht, weswegen wir alle paar Meter halten, um danach zu fragen. Ein Rollerfahrer weist uns mit gel!, gel! an, ihm zu folgen, bis dieser nicht weiter weiß und stattdessen zwei Männer einsteigen, die nun sagen, wo´s langgeht.  

Das Warten hat ein Ende

Als ich aussteige und dem Taxifahrer die 5,85 TL in Form eines 10ers zahlen möchte, gibt dieser mir zuerst gar nichts zurück, auf Fordern drückt er mir 2 TL in die Hand und auf weiteres Beharren noch einen. Ich habe keine Lust mehr auf dieses Spiel und steige aus. Ich sehe das Institut, die andere Praktikantin erwartet mich dort. Das Geld schlägt mir in Form eines supermodernen, ach so alternativem Bürokomplex entgegen. Ich bin für die nächsten paar Stunden angekommen. 

Des Abends werde ich von meinem Freund abgeholt, er begleitet mich zu einer Wohnung, welche ich zuvor auf Craigslist (Wohnungsplatform im Netz) entdeckt und ein Rendezvous ausgemacht hatte. Blabla, smalltalk, das Pärchen ist nett, ich kann einziehen, mein Freund geht ziemlich früh. Dies sollte das letzte Mal sein, dass ich ihn sehen sollte. Auf weitere Nachrichten meinerseits antwortet er zunächst abweisend, bis er mich letztendlich vollends ignoriert. Hoş geldiniz, Isabelle! Herzlich Willkommen. Es folgt ein tränenreicher Weltuntergangstag und da sitze ich nun in meinem Schimmelzimmer mit grasgrünem Rosenvorhang, blauem Kinderbett, weißem Gartenplastiktisch, orange gestrichenen Wänden, aber auf einem sehr schönen Sessel umgeben von den wohltuenden Wellen des Wireless und erwarte das nächste Abenteuer...


Autorin und Sinologie-Studentin Isabelle wohnt seit Mitte Februar in der türkischen Metropole. Für paroli berichtet sie vom Alltäglichen und Außergewöhnlichen in Istanbul. 

(c) Foto Startseite: Gökhan Ender Orel