Interview
"Als Journalist muss man wach durch die Welt gehen"
Robert Misik sieht in einer formalen Ausbildung "kein Kriterium für Können, Talent oder Verstand", einen offenen Arbeitsmarkt, in dem man auch weiterhin alle Chancen hat und eine Normalität in der politischen Motivation eines Journalisten.
Wie läuft das Leben als freier Journalist und Buchautor, Herr Misik?
Ich habe eine normale institutionelle Karriere im Journalismus absolviert und mich erst später für das Leben eines freien Journalisten entschieden. Das hat den Vorteil, dass man so etwas wie einen Namen hat. Die Leute kennen einen, man muss nicht erst betteln, um überhaupt wahrgenommen zu werden. Wenn man 15 Jahre in dem Geschäft verbracht hat, kennt man genug Journalisten bei den unterschiedlichen Zeitungen, die dreimal den Job gewechselt haben. Womit man bei jeder Zeitung jemanden hat, den man anrufen kann.
Doch bei der reinen Arbeit bleibt es nicht.
Jenseits des freien journalistischen Marktes gibt es dann meine Bücher, daraus folgen Lesungen und Moderationen, teilweise im ganzen Spektrum der geförderten Kultur- und Wissenswelt. Etwa für Thinktanks, Parteiakademien, universitäre- oder Kunstinstitutionen. An dieser Stelle sei gesagt, dass hier die höheren Honorare zu verdienen sind. Es ist zwar nicht utopisch mehr, aber da kommt es selten vor, dass dir eine Redaktion anbietet einen 10.000-Zeichen-Text für 150 Euro zu schreiben. Im Journalismus allerdings ist das fast schon normal.
Können Sie davon gut leben?
Ob ich rein vom freien Journalismus gut leben könnte, bezweifle ich. Wobei, was versteht man unter gut leben? Leben kann man, eine Wohnung kann man sich leisten, mit Kindern sieht das schon anders aus. Wenn sich heute ein junger Journalist dazu entschließt, als freier Journalist zu arbeiten, stelle ich mir das extrem schwierig vor.
Sollte es jeder Journalist anstreben, zur Marke zu werden?
Es gibt verschiedenste journalistische Genres. Nicht in jedem ist es möglich oder überhaupt sinnvoll. Es funktioniert wohl im engen Feld des Meinungsjournalismus, des Essayismus und im weiteren Feld der Reportagen. Alexander Osang schreibt für den Spiegel nach wie vor große Reportagen und ist bereits in den 90er Jahren zur Marke geworden. Dafür hat er kein Twitter gebraucht. Es wäre fast absurd, würde der gut schreibende Nachrichtenjournalist oder Korrespondent mit aller Kraft oder Kreativität versuchen, zur Marke zu werden. Das ist ein Job, dessen Beschreibung es vorgibt, sich zurückzunehmen. Das widerspricht sich.
Dennoch versucht es die Mehrheit in sozialen Netzwerken mit aller Kraft.
Die Markenbildung ist für Journalisten heute ein Mittel, um zu überleben. Das war früher nicht so und ist irgendwie krank. Es gibt auch jene, die alle Vorraussetzungen erfüllen, super schreiben, aber introvertierte Persönlichkeiten sind und gar nicht die Lust verspüren, zur Marke werden zu wollen und mit 900 Euro verhungern.
Jungen Menschen (die sich dazu entschließen, frei zu arbeiten) wird heute von diversen journalistischen Studiengängen empfohlen, sich in sozialen Netzwerken zu vermarkten, ...
Sie müssen zur Marke werden.
... war es zur Ihrer Anfangszeit leichter, sich am journalistischen Arbeitsmarkt durchzusetzen?
Es war sicher leichter, sich durchzusetzen, ein freies Dienstverhältnis hat es damals aber de facto nicht gegeben. In den Anfängen meiner institutionellen Karriere war ich genau zwei Wochen in einem freien Dienstverhältnis, dann wurde es in einen Werkvertrag umgewandelt und sechs Wochen später in eine Redakteursstelle. Das war damals das übliche Muster.
Man ist damals über Volontariate zu Zeitungen gekommen. In den drei Monaten, die man dort verbracht hat, sind die wenigen, die gut waren, geblieben und der Rest hat gewusst, dass sie das Eintrittsticket für den Journalismus losgeworden sind und sich nun etwas anders suchen können. Heute ist das anders. Heute studieren Tausende Journalismus, gehen als Journalisten aus der Universität und der Arbeitsmarkt gibt das nicht her. Man kann sich jetzt aussuchen, was davon brutaler ist.
Früher war es fast normal, ein Studium abzubrechen und im Journalismus Fuß zu fassen. Heute verfügen die jungen Menschen über einen oder mehrere Abschlüsse an einer Universität und/oder Fachhochschule, tun sich aber schwer, einen Job zu finden. Wie beurteilen Sie diesen Trend?
Eine rein formale Ausbildung ist noch kein Kriterium für Können, Talent oder Verstand. Natürlich aber kann sie mit diesen Attributen einhergehen und man bekommt trotzdem keinen Job. Wir haben seit zehn Jahren eine Abgängerkohorte diverser Ausbildungsstätten und ein nicht unwesentlicher Anteil davon hat sich durchgesetzt. Das hat nicht mehrheitlich mit der Zufälligkeit zu tun, dass diejenigen an der richtigen Tür geklopft haben, sondern mit ihrem Können und ihren Fähigkeiten. Es ist schon noch immer möglich, im Journalismus Fuß zu fassen. Wenn wir jetzt das Qualitätssegment im Print-Journalismus nehmen, würde ich sagen: Vielleicht für 10-15 Leute eines Jahrgangs. Das war allerdings nie anders.
Um Journalist zu werden, sollte man etwas können. Wenn du dein Leben damit verbracht hast, vier Jahr im Bett zu liegen und zu lesen, statt in die Schule zu gehen, hast du eine hervorragende Ausbildung für den Journalismus. Und hast überhaupt keinen formalen Abschluss. Wenn du repetitiv studiert hast, besitzt du keine besondere Ausbildung. Ein Studium ist grundsätzlich nützlich, ist aber nicht das Entscheidende für journalistische Kompetenz.
Der Vorwurf, die Älteren würden den Jüngeren den Platz wegnehmen, ist nicht neu, nehme ich an?
Ich habe das so nicht miterlebt. Ich bin in einer Zeit Journalist geworden, in der eine Gründerwelle stattgefunden hat. Die AZ, für die ich gearbeitet habe, wurde von einer Parteizeitung zu einer unabhängigen, links-liberalen Zeitung und man hat ein paar Jahre in guten Journalismus investiert. Das Profil ist besser geworden. Vorher war es eine bessere Schülerzeitung, von ambitionierten Journalisten gemacht. Der Standard wurde in dieser Zeit gegründet, und man hatte nie das Gefühl, dass die Älteren jemanden aufhalten. Die Führungsriege hat damals so schnell gewechselt, dass wir uns mehr darüber Gedanken gemacht haben, ob wir diejenigen sein werden, die diesen Job bekommen.
Wie ist es heute?
Seit 2002/2003 ist das anders. Es wird kaum gewechselt. Das betrifft die Neuanfänger genauso wie die normalen Redakteure oder die Führungspositionen. Wenn der Ressortleiter vom Kurier geht, wird er nicht mit dem vom Standard nachbesetzt. Man holt lieber jemanden aus den eigenen Reihen. Man spart damit auch eine Position ein, in einer Zeit, in der man die Gesamtzahl der Redakteure allgemein verringert. Allerdings werden auch die Älteren rausgeschmissen, sobald sie nahe der 60 werden. Diese sind nämlich in der Regel teurer und werden durch billigere Jungjournalisten ersetzt.
Überschätzen sich die Jungen gerne?
Es ist nicht der schlechteste Charakterzug, wenn man als junger Mensch der Meinung ist, dass man besser als alle Generationen vor einem ist. Das habe ich auch gemacht. Ironisch hinzugefügt: Ich war allerdings der, der mit dieser Meinung recht hatte (lacht). Im Ernst: Das ist als Motiv, Höchstleistungen zu vollbringen, nicht gerade das Schlechteste. Generell kommen mir die Jungen heute allerdings nicht so arrogant und aufgeblasen vor. In welcher Hinsicht denn?
Sie verwechseln, so kommt es mir zumindest vor, mehrheitlich Ausbildung mit Erfahrung.
Da mögen Sie recht haben. Und Sie haben sicher recht, wenn Sie das kritisieren. Sinnvoll ist es sicher, alle neuen Technologien zu beherrschen. Darauf bin ich auch ein bisschen neidisch. Ich habe mir das Schneiden von Videos beigebracht, kann ein wenig fotografieren, Audio-Podcasts kann ich auch erstellen, aber dann wird es schon schwer. Etwa mit der Hintergrundmusik - die könnte ich nicht mehr komponieren. Aber wenn ich es wirklich lernen möchte, setzte ich mich zwei Wochen hin und kann es. Der 'Generational Technology Gap' verschwindet mit meiner Generation nahezu.
Unter dem Strich ist das alles aber nicht Kern des Berufs. Als Journalist muss man verstehen, wach durch die Welt gehen, Dinge wie Zwischentöne oder Gerüche, die man nicht riechen kann, akkurat beschreiben können. Man braucht ein ästhetisches Gefühl, das dir niemand an einer Universität vermitteln kann. Das hat man. Oder auch nicht.
In den 1980er Jahren waren Sie Teil der linken Gruppe Revolutionäre Marxisten (GRM). Mit 22 Jahren wurden Sie dann Journalist. Sind Sie aus einer politischen Motivation heraus Journalist geworden?
Menschen beginnen doch nicht sich mit der Welt und der Politik zu beschäftigen, weil sie finden, die Welt und die Politik sei so interessant, sondern weil sie eine gewisse Haltung dazu haben. Sie wollen die Welt verbessern. Es gibt dafür zwei Möglichkeiten, die ab und zu auch parallel verlaufen mögen: Ich kann einen Aufstand, eine NGO oder einen Sitzstreik organisieren. Ich kann aber auch das gedruckte Wort nutzen sowie die Macht der Argumente, um Menschen - für was auch immer - zu gewinnen.
Der Antrieb von Journalisten war schon immer ein politischer. Es geht nicht darum, nur schöne Texte zu schreiben, man möchte damit die Welt verändern. Das Schöne daran ist, dass jene, die aus einer solchen Motivation in den Politikjournalismus gehen, meist doch einen gewissen Hang zur Schönheit des Wortes haben und nicht bloß zu seiner politischen Bedeutung.
Heute wird eine derartige Laufbahn kritisiert.
Zeitungen sind vor 200 Jahren beinahe ausschließlich auf dieser Basis gegründet worden. Neutralen Journalismus hat es nie gegeben, weil, wer neutral zu allem steht, warum sollte der oder die sich gedrängt fühlen, diese Indifferenz in Worte zu fassen. In dieser Hinsicht hat sich nichts verändert. Es erscheint nur so, weil der politische Wunsch der Menschen, die das machen, nicht mehr an Parteien, Ideologien, Organisationen angeknüpft ist. Dass jemand einfach nur Journalist wird, ist ein Schwachsinn.
Darf ein Journalist aus Ihrer Sicht also ein Aktivist sein, Herr Misik?
Ich stehe dazu ambivalent. Ich verstehe das Neutralitätsgebot, das aus einer Zeit kommt, wo Parteilichkeit nicht selten bedeutet hat, dass ich das Gegenteil dessen schreibe, was ich mir denke, weil die Partei das von mir verlangt. Oder wo Parteilichkeit auch mit schwülen Pathos daher kam. Die Neutralität, die dem entgegen gestellt wurde, war durch den Gedanken motiviert, dass man sich nicht als Journalist deklarieren und keine Meinung haben darf und zu allem Distanz wahren muss. In dieser Zeit leben wir jetzt, ich finde aber tatsächlich, dass das genauso absurd ist, wie die perverse Parteilichkeit zuvor. Die besten Journalisten, die, an die man sich später erinnert, die irgendeine Spur hinterlassen haben, waren nie die Indifferenten. Man denke nur an den großen George Orwell, aber auch an die vielen anderen.
- © paroli
Steckbrief
Robert Misik, 1966 in Wien geboren, ist politischer Journalist und Buchautor. Regelmäßig schreibt er für die Berliner Tageszeitung taz und die österreichischen Zeitschriften profil und Falter. Für den Online-Auftritt des Standard betreibt er zudem einen Videoblog.
Ausgezeichnet wurde Misik 1999 und 2000 mit dem Bruno-Kreisky-Preis für das politische Buch, 2009 mit dem Staatspreis für Kulturpublizistik und 2010 erhielt er von der österreichischen Zeitschrift "Der Journalist" in der Kategorie Online die Prämierung "Journalist des Jahres".