Istanbul
Hürriyet - nach der Wahl
Aus der Kommunahlwahl in der Türkei geht die AKP als eindeutiger Sieger hervor. Die Kurden freuen sich über den Sieg der BDP in den südöstlichen Regionen der Türkei. In Istanbul ist es heiß. Die Saison der Tulpen ist angebrochen.
Gestern vor zwei Wochen fanden die Kommunalwahlen in der Türkei statt. Als eindeutiger Sieger ging die AKP hervor, die Kurden freuten sich über den Sieg der BDP in den südöstlichen Regionen der Türkei, CHP verzeichnet Siege im Westen des Landes, die rechte MHP punktet im Süden nahe der syrischen Grenze. Viele AKP-Gegner sind nicht zufrieden mit den Ergebnissen. In der Nacht der Stimmenauszählungen (nachdem tagsüber bei den Wahlen 8 Menschen gestorben sind, die sich anscheinend uneinig über den zu wählenden muhtar waren) ereignen sich in mehreren Städten gleichzeitig Stromausfälle. Schuld daran soll laut türkischem Energieminister eine Katze gewesen sein, welche sich irrtümlicherweise in einen Stromverteilerkasten begeben hatte und somit dieses Desaster verursacht hatte. Und wer kann schon einer putzigen Mietzekatze böse sein? Katzen werden überall geduldet, wenn nicht sogar gefüttert und aufgepäppelt, sind aus dem Stadtbild nicht wegzudenken. Istanbul, die Cat-City twittert nun auch wieder ganz offiziell und legal ohne Proxy von der #kedilobisi, der Katzenlobby. Es kursieren Photomontagen sonnenbebrillter Gangsterkatzen. Irgendwie resigniert wirkt das Ganze dennoch. Man lacht darüber, weil man auch nicht mehr weiß, was man dazu noch sagen soll. Seit einigen Wochen hat es keine Demonstrationen mehr in Istanbul gegeben.
Youtube ist immer noch blockiert. Dies mag zum einen an einer dort kursierenden Tonaufnahme liegen, die den türkischen Außenminister Ahmet Davutoğlu im Gespräch mit – nennen wir sie militärisch wichtigen Personen zeigt. Es wird darüber beratschlagt, welches das beste Vorgehen bezüglich eines Kriegsbeginnes mit Syrien sei. Auf syrischem Grund unweit der türkisch-syrischen Grenze befindet sich das Grab Süleyman Şahs (angeblicher Großvater Osmans I., dem Gründer des Osmanischen Reiches). Die Türkei würde einen Angriff syrischer Militärs auf „ihrem Territorium“ nicht dulden sagte einst Erdoğan. Wie wäre es also, wenn es einen Anschlag auf das Grab Süleiman Şahs gäbe, welcher in syrischen Schuhen einen idealen Grund liefern würde, das Feuer zu entfachen?
Ein weiterer Grund für das andauernde Gesperrtsein youtubes dürfte die Rede Erdoğans sein, welche er wenige Tage vor der Wahl – beinahe stimmlos – in Van gehalten hatte. Als Parodie seiner selbst, brüllt bzw. quietscht er Rachedrohungen in die jubelnde Masse, sodass selbst Mickey Mouse vor Neid erblassen würde. Es existieren bereits diverse Audiomontagen, die ihn beispielsweise mit einer Ziege vergleichen, ein anderes Mal Stayin´ Alive der Bee Gees performen lassen.
Kleine Genugtuung am Rande für etliche Wahlbeobachter: Es gab so viele freiwillige Helfer wie noch nie zuvor. Sie twittern Photos von erschöpften Gleichgesinnten, sackweise Wahlzettel im Arm fest umklammernd für ein paar Minuten eingenickt. Sie weigern sich, das Ergebnis zu akzeptieren und verlangen Neuauszählungen. Doch auch ihre Stimmen werden leiser. Die Routine scheint wieder eingekehrt, der Muezzin singt sein gewohntes Lied, der Halbmond trumpft hoch über der Stadt.
Eine syrische Frau sitzt, ihr Neugeborenes in Tücher eingepackt im Schoß, auf dem Boden inmitten mehrerer schwarzer Müllsäcke, welche in der Nacht wie ein bedrohliches Ungeheuer wirken. Inmitten dieses Durcheinanders liegen mehrere zerstückelte Schaufensterpuppen. Arme, Köpfe, ein Rumpf ragen vereinzelt aus dem schwarzen Schlund des allesfressenden Monsters hervor. Diese Frau stellt sich der Gefahr und riskiert, in Stücke gerissen, zermalmt zu werden. Ihr bleibt wenig Anderes übrig.
Im Börek-Restaurant daneben ein Mann mit seinem Motorrad, seinen Mitternachtssnack erwartend. Ich höre ein Lied. And I´m staring through a hole in your head lautet der Text, als meinen Weg eine einäugige Katze kreuzt. Wie passend, denke ich mir - meines Sarkasmus´ durchaus bewusst. Sie ist nicht die einzige. Immer mehr Katzen fallen mir auf, welche ein vernarbtes Loch anstatt eines zweiten Auges haben, drei Beine oder nur einen halben Schwanz. Das Leben auf der Straße hinterlässt eben seine Spuren. Die Straßen Istanbuls sind voll mit solch Spuren.
Es ist heiß, die Saison der Tulpen ist ausgerufen, Istanbul blüht. Die Meerpromenaden, hier in Kadıköy auf der anatolischen Seite, sind mit inlineskatenden Mädels, teeverkaufenden Männern und Blümchenkränzen verkaufenden Damen bevölkert. Wer möchte, darf eine Runde schießen. Luftballons in allen Regenbogenfarben vor der unglaublichen Kulisse der Ayasofya, des Topkapı Palastes und der Prinzeninseln – den Wind im Haar, den Duft des Meeres in der Nase – zum Platzen bringen. Wenn das mal nicht nach hürriyet klingt!