Der Himmel ist das Limit

Die sieben Erzählungen in Nona Fernández` “Der Himmel“ berichten von der Suche nach sich selbst im Anderen und davon, dass diese oft mit Täuschungen und Enttäuschungen verbunden ist.


Zum Himmel, so heißt der Laden. Dort gibt es Spirituosen in allen Preislagen und Geschmacksrichtungen. Lang gezogene Flaschen in besonderen Farben mit fremdsprachigen Etiketten. Sie haben dort Arak, einen guten Meskal, Vodka Moskovskaya und sogar ein paar Flaschen Sliwowitz. Die Protagonistin der namensgebenden Erzählung „Der Himmel“ beschreibt zu Beginn den Ort an dem sie ihr Seelenheil in Form von Alkohol findet. „Zum Himmel“ befindet sich irgendwo in Chile, genau wie die restlichen Schauplätze der weiteren sechs Geschichten auch. Der gemeinsame Konsum von Wein ist es, der die Frau in Kontakt mit ihrer Nachbarin Mara bringt und sie bemerken lässt, dass diese in illegale Geschäfte verwickelt sein muss. Als eines Tages Mara verschwindet, ihr verwundeter Freund Tadeo im Haus auftaucht und er die Alkoholikerin für Mara hält, wird sie selbst zur Verbündeten.

Großmutter sein

Tod und Täuschung beschäftigen auch die Enkelin von Blanca, die nach dem Tod ihrer Großmutter zurück in ihre Heimat Chile reist. Dort trifft sie auf Blancas Jugendliebe Octavio und findet heraus, dass die Beiden über viele Jahre eine innige Brieffreundschaft pflegten. „Warum hast du aufgehört, mir zu schreiben? Warum hast du mir nicht mehr geantwortet?“, fragt der alte Mann die Enkelin, die die Kleidung ihrer Großmutter trägt, und die er für die Frau hält, die er immer geliebt hat. Sie lässt ihn in dem Glauben und reist zurück nach Barcelona.

Verwechslung

Erinnerungen sind es ebenfalls, die Marion zu der Wohnung von Luis bewegen. Sie ist schwerkrank und dem Tode nah. Luis hat die Stadt allerdings kurz davor verlassen und so trifft Marion nur auf den neuen Mieter, der frisch geschieden ist und sich plötzlich in einer eigenartigen Situation befindet. Die fremde kranke Frau hält ihn für den Vormieter. Er beginnt sich um sie zu kümmern, verlässt kaum mehr die Wohnung und ist nicht mehr in der Lage seiner Arbeit nachzugehen. Der Zustand von Marion verschlechtert sich einstweilen immer mehr.

Club der toten Dichter

Während Tadeo, Octavio und Marion von ihren Mitmenschen im falschen Glauben gelassen werden, wird in „Der erste November“ ein Irrglaube beendet. „Bin ich tot?“, stottert er sehr schwach, als er ihn erblickt, und der Dichter schüttelt den Kopf und lächelt. „Dante … bist du das?" Jahrelang war der Vater der Annahme, dass sein Sohn Opfer der chilenischen Militärdiktatur geworden war. Plötzlich steht der aber am Sterbebett des alten Mannes.


Neben den Täuschungen, Enttäuschungen und falschen Wahrnehmungen, die den Menschen widerfahren, befinden sich die Protagonisten in Nona Fernández‘ drei weiteren Erzählungen mitten im grauen Alltag, im tiefen Elend oder an Wendepunkten. Fernandez gelingt es mit ihren einzelnen, voneinander unabhängigen Geschichten ein großes Ganzes zu erschaffen. Dabei geht es nicht nur um die Prädestinationen der einzelnen Protagonisten, sondern auch um das kollektive Schicksal Chiles. Nicht nur die Personen sind auf der Suche nach sich selbst – sondern das ganze Land. Selbsttäuschungen sind dabei für Mensch und Staat von Bedeutung, um mit der Vergangenheit umgehen und abzuschließen zu können.


Nona Fernández wurde 1971 in Santiago de Chile geboren und ist seit ihrer Schauspielausbildung als Drehbuchautorin, Schauspielerin und freischaffende Schriftstellerin tätig. Die Arbeit an Drehbüchern für Fernsehserien und -filme, mit der sie ihren Lebensunterhalt bestreitet, beeinflusst ihre literarische Schreibweise. Sie geht ökonomisch mit Sprache um und in ihren Erzählstrukturen bevorzugt sie eindeutig den Dialog. Nicht zuletzt dadurch erzeugt Nona Fernández Bilder von kinematografischer Aussagekraft. Sie zählt zu den führenden Schriftstellern Chiles und Südamerikas. Sie empfing sowohl 2003 als auch 2008 den chilenischen Literaturpreis PREMIO MUNICIPAL DE LITERATURA in der Kategorie Bester Roman.

  • (c) Harald Triebnig