Istanbul

Au revoir, pas adieu!

Meine Zeit in Istanbul ist nicht vorbei, jedoch von einem längeren Aufenthalt in Deutschland unterbrochen. Sie fehlt mir - der Bosporuspromenade erhaben in meinem Lieblingspark zu sitzen. Hier spüre ich (zum ersten Mal?) absolute Zufriedenheit.


Den Blick gen Asien gerichtet, die ganze Welt fährt an mir vorbei. Aiden warten teilweise Tage darauf, dass ihnen Einlass in die Stadt gewährt wird. Chinesische Containerschiffe, Fischerboote und auch mal ein Uboot tauchen auf. Ein Kran, auf welchem allen Minaretten erhaben die Türkeiflagge weht, trägt den Namen yenigün, der neue Tag. Hoch oben thronend erinnert er uns an die tägliche Wiederkehr. Berge an Sonnenblumenkernschalen als Testimonium zuvor Dagewesener. Die Akkustikgitarre erklingt, es wird Bella Ciao und weitere emotionale Lieder in türkischer Sprache gesungen. Der einzige Ort, den ich in Istanbul gesehen habe, an welchem die Zahl der Hunde sowohl die der Menschen als auch der Katzen übersteigt. Schwimmenden Hundepfoten gleich schimmern die Lichter der vorbeifahrenden Fähren auf dem Wasser, sobald zum Abendgebet gerufen wurde und die Sonne untergegangen ist.

Wie ich mich fühle haben zwei Männer ziemlich gut in folgendem Track festgehalten:

Es ist das zweite Mal, dass ich Ostern in Istanbul verbringe. Karfreitags tönt es den ganzen Tag aus den Moscheen; dem Tod des Propheten Jesus, als welcher er im Islam verehrt wird, zu Ehren finden Sondergottesidenste statt. Ich entscheide mich für die griechisch-orthodoxe Kirche, die Aya Triada, am Taksim. Ihre Decken im Innern sind mit Seraphimen, sechsflügligen Engeln, mir bekannt aus der Aya Sofia bemalt. Ich bekomme Blumen geschenkt und zünde, wie es der Brauch will, eine Kerze für meine Verstorbenen an. Die Blumen werden auf eine Art Altar auf Stelzen mit Dach (ich weiß, dass ich [vieles] nicht weiß) gelegt. Inmitten des Blumenmeeres liegt eine Bibel, die der Reihe nach von jedem Besucher geküsst wird. Ich enthalte mich diesem Ritual und entscheide mich für einen Platz in zweiter Reihe, um ungestört zu beobachten. Das Kreuz, welches mitten im Schiff steht, wird zuerst mit der Stirn berührt, um darauf ebenfalls geküsst zu werden. Manche Menschen krabbeln auf dem Boden unter dem Altar durch. Zu verstehen gibt es da wohl nichts, denke ich mir und bin froh, wenigstens nicht im Kreuzgang gelandet zu sein.

  • (c) Okan Can Yalçındağ

Als ich später im Taxi sitzend nach meiner Herkunft gefragt werde und der Einfachheit halber mit „Deutschland“ antworte, werde ich von dem türkischen Taxifahrer darüber aufgeklärt, warum ich unbedingt Mein Kampf  lesen sollte. Tarih control, die Geschichte zu überprüfen sei wichtig. Deswegen darf ich mir anhören, warum Hitler doch gar nicht so schlecht war. Weiter erzählt er mir von der Jahrhunderte alten türkischen Geschichte. Mir fehlen die Worte – in zweierlei Hinsicht. Ich beschließe, die nächsten Male mit „Frankreich“ zu antworten, wenn ich nach meiner Herkunft gefragt werde.

Istanbul. Jahrhundertelang umkämpft weiß sie sehr wohl, dass sie begehrenswert ist, flirtet mit Mensch und Tier um ihnen dann den Rücken zuzudrehen und sie in einer Wolke Hüzün, Schwermut, im Nirgendwo zwischen Asien und Europa stehen zu lassen. Rar und begehrt von Jung und Alt, Menschen aller Nationalitäten auf der Flucht oder auf der Suche, Transsexuellen, die, ihres eigenen Überlebens willen mit ihren Familien brechen mussten, Menschen, die religiös sind oder eben nicht. Mit diesen und noch vielen mehr durfte ich dieses Gefühl teilen.


Autorin und Sinologie-Studentin Isabelle hat drei Monate in Istanbul verbracht. Die Zeit ist jetzt rum, aber es war sicher nicht der letzte Besuch. Für paroli berichtet sie vom Alltäglichen und Außergewöhnlichen in Istanbul.